Die Fahrt durchs Vallée-du-Tavannes führt im östlichen Teil ins verschlafene Dörfchen Court. Das ehemalige Strassenzeilendorf liegt im Berner Jura, hier scheint die Zeit noch stehengeblieben, es ist als würde man zurück in die 80er Jahre versetzt. Treffpunkt ist die Rôtisserie La Calèche, zwischen der Hauptstrasse und der Bahnlinie. Im schmucken, typisch welschen Landgasthof sticht ein Service-Tablar mit dem Mannschaftsfoto des EHC Biel ins Auge. Der ehemalige EHCB-Spieler Francis Lardon führt das Restaurant, Lardon gehörte 1978 zum ersten Bieler Meisterteam.
Den Chef des Hauses sehen wir nicht, denn dies ist auch nur die Zwischenstation auf dem Weg zum Haus von Monsieur Charpié. Der 67-Jährige lebt seit Jahren in seinem eigenen Eishockey-Museum in Court. Auf der Fahrt zu Monsieur Charpié erblicken wir, nach dem Überqueren der Birs, den Wegweiser zur Patinoire de Court, die offene Eisbahn auf einer ehemaligen Kuhweide liegt nur 800 Meter von Charpiés Haus entfernt.
ACBB Paris und Wembley Lions
Der Patron, im Team-Kanada-Pullover, öffnet seine Türe wie die Tore zu einem geheimen Nummerndepot einer Schweizer Bank. Bereits der erste Blick bringt uns zurück in die 50er Jahre, das Trikot vom Athletic-Club-de-Boulogne-Billancourt (ACBB) Paris hängt am Treppengeländer, welches zu Charpiés persönlicher Hall-of-Fame in den Dachstock führt. «Das ist das Original-Trikot von Jean Ayer», sagt der passionierte Hockeysammler. Er habe noch mehr von Ayer, unter anderem sämtliche Matchprogramme aus seiner Zeit bei den Wembley Lions in London.
“Du wirst schlichtweg erschlagen.”
– Michael Krein, in Court
Schon nur diese Aussage, lässt uns zumindest im Ansatz erahnen, was sich noch alles in seinem Archiv verbergen könnte. Dann betreten wir das Reich Charpiés, es erinnert an den Bieler Spielzeugladen Schöni an der Kanalgasse 37, hier gibt es alles – alles – vom Trikot des EHC Nidau, über sämtliche Trikots des HC Villars und CP Court, bis zu einer Jacke der Montreal Canadiens 1952 von Doug Harvey, die Lizenzen der Croci-Torti’s (Guy, Jean-Luc und Yves), Presseordner des EHC Olten oder sämtliche Chroniken vom Lausanne HC bis zum HC Le Fuet Bellelay.
Emotionale Erschöpfung
Nach ca. 90 Minuten schleicht sich im Denkzentrum eine psychische Übermüdung ein, man ist nicht mehr in der Lage neue Informationen und Eindrücke einzuordnen. Selbst der hartgesottenste Hockey-Romantiker erreicht hier mit der emotionalen Erschöpfung die erste Stufe eines Burnouts. Allerdings lässt sich das Burnout nicht auf negative-, sondern auf den massiven Überfluss positiver Eindrücke zurückführen. Du wirst schlichtweg erschlagen. Und Monsieur Charpié? Der Patron stöbert, räuspert, erzählt und präsentiert einen Leckerbissen nach dem andern.
Hat er selber noch den Überblick? Weiss er wo er was verstaut hat? Woher hat er nur all diese Zeitzeugen? Und was sagt Madame Charpié? Diese Fragen gehen einem zusätzlich durch den Kopf. Es ist pure Eishockey-Romantik, in diesem Archiv scheint die Zeit noch langsamer zu laufen, als dies im Dörfchen Court der Fall zu sein scheint – und das ist gut so. Es ist ein Eintauchen in eine andere Welt mit einem gutmütigen Patron, der hier einen wichtigen, längst verloren gegangenen Teil des Schweizer Eishockeys in welscher Manier, aber mit grösster Sorgfalt beherbergt.
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