Auf Madame Potins Spuren

Auf Madame Potins Spuren

Paris und Eishockey? Im Vorfeld der Weltmeisterschaft hält sich die Freude nach Paris zu reisen in Grenzen, nicht nur wegen der Terroranschläge, sondern auch weil in Paris kein WM-Fieber entfacht werden könne oder wie es ZüriWest im Song «Paris» treffend formuliert: «Schiss-Paris». Es ist Sonntag, die Sonne scheint, in der Brasserie Jean Baptiste in Boulogne-Billancourt gibts bereits um 11 Uhr keine Croissants mehr, die Bedienung kommt «tout-de-suite», «sofort» heisst im Pariser Aussenquartier geschlagene 20 Minuten. 1,7 Kilometer entfernt steht die Patinoire de Boulogne-Billancourt, vor rund 60 Jahren ist dies Dreh- und Angelpunkt des französischen und europäischen Eishockeys. Der Athletic-Club Boulogne-Billancourt (ACBB) wird hier im Dezember 1955 vom Pariser Unternehmer Philippe Potin aus der Taufe gehoben.

Die grosse Stadion-Uhr scheint, zu den grossen Zeiten des ACBB’s stehengeblieben. (Krein)

Boulogne-Billancourt

Die Eisbahn, inmitten eines verschlafenen Quartiers erinnert noch heute an die alte Zeit, nur anhand der parkierten Autos bewegt man sich in Gegenwart. Die gut erhaltene und teilweise renovierte Eishalle hat ihren Charme der 50er Jahre nicht verloren, eine Vitrine erinnert an die grossen Erfolge der Vergangenheit, 1959 gastieren mit den Boston Bruins und New York Rangers sogar zwei NHL-Teams. In der gleichen Epoche wird der französische Schauspieler, Drehbuchautor und Regisseur Jacques Tati durch seine Filme über «Monsieur Hulot» weltberühmt. Die Patinoire in Boulogne-Billancourt, 1955 eröffnet, würde den perfekten Drehort für einen seiner Filme abgeben. Es ist als würden Monsieur Hulot und Monsieur Potin, jeden Moment um die Ecke kommen. Es ist heute noch gut vorstellbar, wie es in den 60er Jahren kurz vor Spielbeginn ausgesehen haben könnte, mit Stürmer Elwin Friedrich und Torhüter Jean Ayer würden wir zwei Schweizer-Söldner gegen den HC Chamonix spielen sehen. Friedrich und das frankokanadische Starensemble holt in seiner Blütezeit drei französische Meistertitel und drei Spenglercup-Siege, ehe die legendäre Mäzenin Madame Janine Potin ihre Meistertruppe samt Friedrich nach Villars verlegt.

Am 4. und 5. Mai 1959 gastieren hier die Boston Bruins und die New York Rangers. (Krein)

Spieler ohne Klubs

Paris ist eishockeytechnisch wichtiger als es scheint, ist aber in der Gegenwart tatsächlich in Vergessenheit geraten. In der obersten französischen Spielklasse, der Ligue Magnus, ist seit dem Abstieg des Pariser-Vorortklubs Jets de Viry-Châtillon im Jahr 2001 kein Klub mehr vertreten. Der letzte Pariser Meistertitel der Français-Volants Paris liegt bereits 28 Jahre zurück, die «Flügel» spielen aktuell in der Anonymität der dritthöchsten Spielklasse. Noch tiefer ist der ACBB Paris gefallen, der ehemalige Spitzenclub spielt noch eine Klasse tiefer als die Français-Volants. Im WM-Kader von Coach Dave Henderson stehen immerhin drei Spieler aus der Nachwuchsabteilung von Viry, Stéphane und Teddy Da Costa, sowie Yohann Auvitu, dazu kommen die in Paris geborenen Antonin Manavian und Ronan Quemener, dies sind 20% der «Equipe-Tricolore».

Durch die WM will der französische Verband den Eishockeysport in Paris wieder ankurbeln, doch die Begeisterung hält sich, trotz der guten Auftritte der «les Bleus», in Grenzen, die Zuschauerzahlen sind schlecht, selbst die Spiele Frankreichs (alle als «trois etoiles» Spiele deklariert und somit die teuerste Kategorie) sind nie ausverkauft. Auch der Bierkonsum hat im Stadion keinen Platz und eine alkoholfreie Brühe kostet 10 Euro. Dafür gibts rund ums Stadion an der Rue de Bercy viele «Brasserien», unser* Favorit ist die Brasserie les Spectacles mit dem Zaubertrank «Pelforth Blonde», welches der Schweizer Fan-Delegation, den Holländern des Eishockeys, ausgiebig ausgeschenkt wird.

Ausserhalb von Bercy ist nichts von der WM zu sehen, an einem Schaufenster an der Champs-Élyssés ist eine kleine Werbung zu sehen, welche aber nur den scharfsinnigsten unter den Hockey-Affinen ins Auge sticht. Dabei steht Paris am 15. Mai 1908 im Zentrum des internationalen Eishockeys, an der Rue de Province 34 wird der IIHF als Ligue Internationale de Hockey sur Glace (LIHG) durch die Landesverbände Belgien, Grossbritannien, Schweiz und Frankreich gegründet. Der Französische Verbandspräsident Louis Magnus (nach ihm sind die Liga und der Meisterpokal in Frankreich benannt) ist zugleich erster IIHF-Präsident. Seit 2007 wird der französische Cup-Final in der AccorHotels Arena vor jeweils fünfstelliger Zuschauerkulisse ausgetragen.

„Paris ist eishockeytechnisch wichtiger als es scheint.“

— IIHF-Gründungsdokument von 1908

Eisgenossen und Schweizergardisten

Mit Andres Ambühl als erster Schweizer WM-Torschütze seit des letzten WM-Treffers 1951 durch Ueli Poltera (Arosa), trifft erneut ein Bündner auf Pariser Boden. Die jüngste Schweizer Ausgabe ist auf dem besten Weg in die Fussstapfen ihrer Vorgänger zu treten, welche vor 66 Jahren unter Headcoach Bibi Torriani die Bronze-Medaille nachhause bringen. Die Mannschaft von Patrick Fischer spielt ihre zweitbeste Vorrunde der Neuzeit und steht im Viertelfinal, nur noch beim WM-Silber 2013 war man vor der Endrunde besser klassiert. Nach einem mirakul(ix)ösen (mit Verdacht auf gallischen Zaubertrank) 3:2-Sieg über Kanada, gelingt einen Tag später beinahe (der Zaubertrank hat nachgelassen) noch der erste WM-Sieg über Finnland seit 1972. Eisgenossen und «Schiss-Paris», eine Wort-Kombination welche im «Vocabulaire» des Eishockeys nicht existiert. In diesem Zusammenhang müssen die Eisgenossen wohl mit den Schweizergardisten verwechselt worden sein, welche während der französischen Revolution auf dem heutigen Place de la Concorde mehr als nur Haare lassen mussten. Apropos rollende Köpfe, an der «gallischen» WM müssen ausgerechnet die Römer (Italien) wieder in die Zweitklassigkeit absteigen.

Eindrücke und Erlebnisse von Rolf Pfeiffer und Michael Krein, unterstützt durch Pelforth

Die Telegramme

12. Mai 2017 16 Uhr 15

Tschechien – Slowenien 5:1 (3:0, 1:0, 1:1) Highlights

13. Mai 2017 12 Uhr 15

Norwegen – Finnland 2:3nV (1:0, 0:2, 1:0, 0:1) Highlights

13. Mai 2017 20 Uhr 15

Kanada – Schweiz 2:3nV (2:0, 0:0, 0:2, 0:1) Highlights
Accor-Hotels-Arena. – Zuschauer 12’932. – SR Odins/Salonen (Lett/Fi), Leermaker/Sormunen (Ho/Fi). – Tore: 5. O’Reilly (Marner, Parayko /Ausschluss Hollenstein) 1:0. 7. Marner (Lee, Konecny) 2:0. 47. Herzog (Praplan, Richard /Ausschluss Matheson) 2:1. 50. Praplan (Hollenstein) 2:2. 64. (63:40) Herzog (Untersander, Ambühl) 2:3. – Strafen: Kanada 4-mal 2 Minuten, Schweiz 3-mal 2 Minuten. – Bemerkungen: Kanada ohne Barrie (verletzt), Schweiz ohne Malgin, Schlumpf und Schlegel (alle überzählig). Pfostenschüsse Simmonds (22./28.). Schüsse: Kanada 45 (16-13-13-3); Schweiz 26 (6-7-12-1).
Kanada: Pickard; Parayko, Vlasic; Demers, De Haan; Lee, Matheson; Morrissey; Marner, Point, Konecny; Duchene, Couturier, Skinner; Simmonds, Giroux, Killorn; MacKinnon, Scheifele, O’Reilly; Schenn.
Schweiz: Hiller (7. Genoni); Furrer, Diaz; Kukan, Untersander; Genazzi, Loeffel; Marti; Suter, Ambühl, Brunner; Hollenstein, Haas, Praplan; Bodenmann, Richard, Herzog; Schäppi, Almond, Rüfenacht; Suri.

14. Mai 2017 16 Uhr 15

Frankreich – Tschechien 2:5 (0:1, 1:2, 1:2) Highlights
Accor-Hotels-Arena. – 13’003 Zuschauer. – SR Gouin/Kubus (Ka/Slk), Otmakhov/Sormunen (Russ/Fi). – Tore: 9. Pastrnak (Horak, Voracek /Ausschluss Meunier) 0:1. 21. S. Da Costa (Fleury /Ausschluss Kempny) 1:1. 27. Repik (Kundratek) 1:2. 38. Rutta (Cervenka/Ausschluss S. Da Costa) 1:3. 49. Repik (Kempny) 1:4. 51. Roussel 2:4. 59. Zohorna (Horak/ins leere Tor) 2:5. – Strafen: Frankreich 3-mal 2 Minuten, Tschechien 7-mal 2 Minuten. – Bemerkungen: Frankreich ohne Douay (überzählig).
Frankreich: Hardy; Auvitu, Hecquefeuille; Manavian, Besch;
Dame-Malka (2), Janil; Raux; Roussel, Bellemare, Stéphane Da Costa (2); Sacha Treille, Teddy Da Costa, Fleury; Lampérier, Meunier (2), Perret; Rech, Ritz, Claireaux.
Tschechien: Francouz; Simek, Gudas; Jerabek, Krejcik; Kempny (4), Rutta; Kundratek; Sobotka (4), Plekanec, Voracek; Cervenka (4), Kovar, Pastrnak; Birner, Vrana, Repik (2); Horak, Hanzl, Zohorna; Radil.

14. Mai 2017 20 Uhr 15

Schweiz – Finnland 2:3nV (2:1, 0:0, 0:1, 0:1) Highlights
Accor-Hotels-Arena. – 10’860 Zuschauer. – SR Gofman/Öhlund (Russ/Sd), Dedjulja/Suchanek (WRuss/Tsch). – Tore: 5. Herzog (Richard, Untersander) 1:0. 11. Genazzi (Loeffel) 2:0. 20. Hietanen (Savinainen, Aho /Ausschluss Ambühl) 2:1. 48. Rantanen (Ville Lajunen, Aho /Ausschluss Diaz) 2:2. 63. Filppula (Savinainen, Hietanen) 2:3. – Strafen: Schweiz 5-mal 2 plus 10 Minuten (Ambühl), Finnland 6-mal 2 Minuten. – Bemerkungen: Schweiz ohne Hiller (angeschlagen) Schlumpf, Brunner (beide überzählig). Furrer zu Beginn des zweiten Drittels ausgeschieden. – 62. Pfostenschuss Rantanen. – Schweiz 27 (13-8-6-0); Finnland 27 (4-13-9-1).
Schweiz: Genoni; Diaz, Furrer; Untersander, Kukan; Loeffel, Genazzi; Marti; Praplan, Haas, Hollenstein; Rüfenacht, Almond, Schäppi; Ambühl, Malgin, Suter; Herzog, Richard, Bodenmann; Suri.
Finnland: Korpisalo (11. Säteri); Honka, Ohtamaa; Jaakola, Ville Lajunen; Hietanen, Lehtonen; Kukkonen, Järvinen; Hännikäinen, Jani Lajunen, Osala; Aho, Filppula, Rantanen; Pyörälä, Kemppainen, Aaltonen; Pihlström, Sallinen, Savinainen.

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