Backgroound Image

Mythos Quarantäne

Stellen sie sich vor, sie sind in Quarantäne, kommentieren aber live aus Langnau? Doch der Reihe nach. Das Eishockey-Lexikon von Horst Eckert ist bis heute immer noch das grösste physische Eishockey-Nachschlagewerk des deutschsprachigen Raumes. Über die Faszination dieses Werkes könnte ich einen eigenen Blog schreiben. Inhalt dieser Faszination ist auch der Buchstabe «Q», welcher alle Begriffe wie etwa Quebec Nordiques, Qualifikation oder Querlatte beinhaltet. Einem Begriff habe ich bisher nie besondere Beachtung im Zusammenhang mit dem Eishockeysport gegeben: «Quarantäne (franz.) – Absonderung», steht auf der Seite 142, des 1993 im Copress-Verlag erschienenen Werkes. Was heisst denn Quarantäne im Zeitalter der jüngsten Seuche des Weltgeschehens?

Quarantäne, der Hockey-Begriff wird erst 2020 zum Mythos. (Krein)

Das Wort «Quarantäne» gelangte im 17. Jahrhundert, wie italienisch «quarantena» aus französisch «quarantaine» («vierzig») ins Deutsche. So gab es bereits 1374 in Venedig eine Sperre für pestverdächtige Schiffe und bezeichnete diese als «quaranta giorni» (vierzig Tage). Keine vierzig Tage, aber zehn Tage dauert die Quarantäne für «Covid-19-Verdächtige», die Sperre gilt dabei nicht nur für eine Hafenstadt, sondern für das ganze Land, ja sogar für die ganze Welt. Kurz nach der Wiederaufnahme der langersehnten Eishockey-Meisterschaft, purzeln die Quarantäne-Fälle wie Dominosteine durch das Tagesgeschehen und die Teletext Seiten ab 316 färben sich rot (verschoben).

„Die Hiobsbotschaft kommt noch während des Trainings, aber drei Tage zu spät!“

— Michael Krein

Im Nachwuchsbereich wurden wir bis am 21. Oktober verschont, doch die Hiobsbotschaft kommt noch während des Trainings, kurz nach Trainingsende mit der Lysser U13 hat der ganze Trainerstaff mehrere Nachrichten und verpasste Anrufe auf dem Telefon. Bisher war beim SC Lyss nur die 1. Mannschaft betroffen, doch die Spieler des Fanionteams helfen auch beim Nachwuchs kräftig mit, neben Trainings der U13-, stehen die Cracks auch in der Hockeyschule auf dem Eis.

Einer steht ausnahmsweise auch als Assistent bei den U13-Top an der Bande. Bei uns (in meiner Hockey-Jugend) war dies einst der damals unbekannte Sean Simpson, nie werden wir dies vergessen. So auch die aktuelle U13 nicht, nie werden sie den Kanadier mit Schweizerpass vergessen, wenn er einst an der Weltmeisterschaft 2043 die Schweiz zu WM-Gold führen wird. Eine schöne Geschichte, jedoch gepaart mit Nebengeräuschen, denn der hilfsbereite Ersatzcoach erhält drei Tage später die «positive» Covid-19-Nachricht und die «Pest» kommt vom Schiff ans Land.

Reicht der Kaffee für die Quarantäne?

Das normale U13-Spiel vom Sonntag wird plötzlich zum Hitchcock-Finale. Ein offizielles Schreiben des Präsidenten liegt bereits elektronisch vor, alle Details sind zu beachten und zu prüfen. Wer sich beim U13-Spiel vom Sonntag, 18. Oktober, während 15 Minuten im Umkreis von anderthalb Metern neben dem Kanadier mit Schweizerpass befand und dabei keine Maske getragen hat, muss in Quarantäne. Die Betroffenen beginnen zu rechnen und den Tagesablauf zu rekonstruieren. In der Kabine haben die Coaches eine Maske getragen, an der Bande aber nicht, jedoch war der Abstand jeweils grösser als die anderthalb Meter. Einziger Knackpunkt: Vor dem Spiel haben die drei Coaches an der Buvette einen Kaffee zusammen getrunken, dieser Moment entpuppt sich als Schlüsselereignis für die Pest-Frage.

Ruhe und Distanz auf der Lysser Bank, drei Tage vor dem Sturm. (Iwan Fink)

Um auf Nummer sicher zu gehen, entscheiden alle Protagonisten in Rücksprache mit ihren Arbeitgebern und dem Präsidenten sich in die zehntägige Quarantäne zu begeben. Es ist wie in einer Overtime, der Puck fällt zugunsten der Sicherheit, der Glaubwürdigkeit und dem gesunden Menschenverstand auf die Seite der Quarantäne. Was ist mit den Kindern? War keiner der Spieler länger als 15 Minuten neben dem sich bereits in Isolation befindenden Trainer? Was ist mit den drei Spielern, welche das Türchen neben dem pestverseuchten Trainer gemacht haben?

Wie einst in Venedig, sitzt der Pestkranke mit den Pestverdächtigen auf dem Schiff, jedoch haben sich alle «Verseuchten» bereits drei Tage frei im «Hafen von Venedig» bewegt. Das ist die Lücke der Quarantäne, du sitzt bereits drin, bevor du es weisst. Und was, wenn der Kaffee-Entscheid zu Ungunsten der Quarantäne ausgefallen wäre? Dann wäre nur der Pestkranke auf dem Schiff hängen geblieben. Und was ist mit all denen welche den Kaffee-Entscheid ganz für sich alleine hätten fällen können, wären sie freiwillig auf dem Pestschiff geblieben?

Ein «Einzeiler» wird zum Mythos

So unbedeutend die «Lexikon-Quarantäne» über Jahrzehnte auf Seite 142 dahinvegetierte, umso wirkungsvoller ist ihre aktuelle Position im Weltgeschehen. Ihre Anwendung bleibt grösstenteils im eigenen Ermessen jedes Einzelnen. Der bisherige «Einzeiler» hat nun auch bei mir den Status des Mythos erreicht und hat seinen kleinen Platz im Eishockey-Lexikon auf ein ganzes Kapitel erweitert.

Mythos Langnau Corona-Konform, die Interviews (Flurin Randegger) werden mit dem nötigen Abstand und allen Hygiene-Vorschriften jeweils sauber durchgeführt. (Krein)

Alle beteiligten Personen haben die Quarantäne ohne Symptome nach zehn Tagen wieder verlassen.

Ein grosser Schritt für das Eishockey

Am 29. Februar dieses Jahres fand die letzte Runde statt (ich war in Langnau), sieben Monate später endet die längste Pause der obersten Spielklasse seit der Eishockey-Neuzeit (nach dem 2. Weltkrieg). Am 1. Oktober, empfängt der HC Lugano zum Saisonauftakt die ZSC Lions. Viele Leute tummeln sich vor Spielbeginn vor der ehemaligen Resega, fast zeitgleich mit der Türöffnung um 18 Uhr 30, kommen die «Jüngsten» aus den Kabinen der Trainingshalle. Ein Lugano-Angestellter verteilt Gratis-Schals, mit dem Lugano-Slogan «Non molare mai» (Gib nie auf) an alle Zuschauer.

Die HCL-Fanschals werden vor der Cornèr-Arena an die Zuschauer abgegeben. (Krein)

Nie aufgegeben haben auch der Verband, die Klubs und die Liga. Die Hallen sind auf Covid-19-Kapazitäten umgerüstet worden, so fasst die Cornèr-Arena in Lugano nicht mehr 7’200 Plätze, sondern 3’500 Corona-konforme-Plätze. Die Curva-Nord glänzt erstmals mit schwarzen Schalensitzen (siehe Titel-Foto). Vorher gehts aber durch eine professionelle und saubere Eintrittsprozedur. Sämtliche Journalisten müssen sich mindestens 24 Stunden vor Spielbeginn auf der Homepage Luganos registrieren und werden in eine «Media HCL-WhatsApp-Gruppe» von 28 Teilnehmern aufgenommen.

Sauberer Ablauf

Vor der Türöffnung werden alle Medienleute mit einem Ticket und einem gelben Armband, welches Zutritt zur Interview-Zone gewährt, ausgestattet. Dann gehts los, pünktlich zur Türöffnung, folgt eine zweite Registrierung mittels einem QR-Code, welcher beim Haupteingang zu scannen ist. Mit diesem Code gehts zur zweiten Online-Registrierung, welche durch einen Zahlencode per SMS zugestellt wird. Für ältere Personen und technische Banausen wie mich, stehen Helferinnen und Helfer im Einsatz.

Lugano-COO Jean-Jacques Aeschlimann empfängt die ersten Journalisten beim Haupteingang. (Krein)

Die Eingangskontrolle wird durch den Manager des operativen Geschäfts oder den COO Jean-Jacques Aeschlimann, welcher Verbindungen bis in unser kleines Dorf hat, unterstützt. Abstände und Laufwege in die Cor(o)nèr-Arena sind gekennzeichnet und sauber abgesperrt. Es geht auf dem direkten Weg in die obere Etage der «Resega.» Das Betreten der Halle ist bereits eine Genugtuung, endlich wieder Eishockey, endlich wieder eine Arena, endlich wieder ein Ernstkampf und endlich wieder ein Einsatz für das gesamte Schweizer Eishockey.

„Ein kleiner Schritt für die Menschheit, ein grosser Schritt für das Eishockey.“

— Krein

«Ein kleiner Schritt für die Menschheit, ein grosser Schritt für das Eishockey», könnte ich passender nicht ausdrücken und dennoch ist es ein bisschen so, wie wenn es nie eine Pause gegeben hätte. Den Spielern wird bereits beim Einlauf auf das Eis für das Warm-up applaudiert, denn alle sitzen im gleichen Boot, ob Zuschauer, Funktionäre, Schiedsrichter, Spieler oder Journalisten. Nur noch wenige Minuten bis zum Start, die Nervosität steigt nicht nur bei mir sondern auch bei den Akteuren auf dem Eis, das «top» von Regisseur Louis Trautmann kommt pünktlich um 19 Uhr 40, dann gehts los, für das Lugano-Spiel bedeutet dies «MySports-Kanal 5» und das Kapitel der «Corona-Pause» ist Geschichte.

Boedker und der Pizza-Baecker

Die beiden Hauptattraktionen Mikkel Boedker und Sven Andrighetto schreiben ebenfalls Geschichte, die ehemaligen NHL-Cracks bestreiten ihre erste Partie in der National-League, dies gilt auch für Daniel Carr, Tim Heed und Philipp Kurashev. Der 11-fache Nashville-Spieler Carr erzielt seine Tore 1 und 2 in unserer Liga, Boedker und Kurashev geben ihre ersten Vorlagen und Niklas Schlegel kommt zum ersten Saison-Shutout. Nur die Gäste bleiben blass. Nach dem Interview mit Matchwinner Schlegel, gehts zu den Schiedsrichtern, Linesman Thomas Wolf ist ebenfalls ein Seeländer, ich habs so kommentiert, der Lengnauer kommt beim «Swiss-Hockey-Day» immer nach Lyss. Wie in Lugano üblich, gibts für die Referees nach Spielschluss immer eine Pizza aus der hauseigenen Pizzeria im «Ristorante Club 41», etwas was auch ich mir beim speziellsten Saisonauftakt aller Zeiten nicht entgehen lasse.

Die Pizza Prosciutto im «Ristorante Club 41» in Lugano, schmeckt zum Saisonauftakt so gut wie Luganos Spiel. (Krein)

Lugano – ZSC Lions 4:0 (2:0, 1:0, 1:0)
Cornèr-Arena. –3’426 Zuschauer. – SR Stricker/Stolc (Slk), Wolf/Betschart. – Tore: 9. Bürgler (Fazzini, Arcobello /Ausschluss Roe) 1:0. 18. Carr (Bertaggia, Kurashev) 2:0. 28. Fazzini (Boedker) 3:0. 51. Carr (Kurashev, Bertaggia) 4:0. – Strafen: Lugano 2-mal 2 Minuten, ZSC Lions 1-mal 2 Minuten. – Bemerkungen: Lugano ohne Lajunen und Sannitz (beide verletzt), ZSC Lions ohne Blindenbacher, Bodenmann und Capaul (alle verletzt).
Lugano: Schlegel; Heed, Riva; Loeffel, Wellinger; Chiesa, Nodari; Traber, Wolf; Boedker, Arcobello, Fazzini; Carr, Kurashev, Bertaggia; Bürgler, Herburger, Suri; Walker, Morini, Lammer.
ZSC Lions: Flüeler; Noreau, Marti; Phil Baltisberger, Geering; Trutmann, Berni; Morant; Chris Baltisberger, Roe, Andrighetto; Hollenstein, Diem, Sigrist; Pettersson, Krüger, Wick; Prassl, Schäppi, Pedretti; Simic.