Genferisches

Die «genferische» Tribüne, der Vernets-Halle an der Hans-Wilsdorf-Strasse, strahlt auch noch 63 Jahre nach ihrem Bau. (Krein)

Immer auf dem Weg nach Genf erinnere ich mich an die Geschichte vom damaligen Slapshot-Redaktionsleiter Bernhard «Bärni» Grimm, heute GrimmKomm, als er in der ersten Saison nach dem Genfer Wiederaufstieg in die NLA mit dem gesamten Slapshot-Promo-Material bei Bardonnex – ohne Pass – über die französische Grenze gefahren ist, dies weil er bei der Verzweigung Perly den falschen Weg gewählt hat. Diese «genferische» Geschichte führt mich, Grimm sei Dank, auch Jahre danach noch immer Richtung «La Praille» bis «Vernets» angezeigt wird.

Die Verzweigung-Perly wurde 2002 Bernhard Grimm zum Verhängnis… (Krein)

Nicht in Frankreich, aber im Parkhaus der Rolex soll die Presse beim ersten Playoff-Spiel gegen Freiburg-Gottéron geparkt werden. Nach 19 Jahren Genf-Retour auch für mich ein Novum und dieses lässt mich kurzzeitig im Stile eines Jacques Tati Films durch die grosse Eingangshalle der Rolex irren. Ein freundlicher «genferischer» Securitas-Mann weist mir dann den Weg Richtung rettenden Ausgang und Richtung Eishalle.

Die Vernets-Halle an der «Rue-Hans-Wilsdorf 4», ein Bauwerk von 1958 und so aus der gleichen Epoche wie Tatis erste Meisterwerke in Farbe, wirkt aus der Ferne immer noch zeitlos. Zeitlos ist auch die Playoff-Bilanz der Gäste aus dem Kanton Freiburg, Gottéron hat noch nie eine Playoff-Serie, immerhin schon drei Serien, gegen die Servettiens gewonnen.

Die Ausgangslage zu einem zweiten Gottéron-Sieg ist so gut wie nie zuvor, denn Genf muss auf Tanner Richard und Noah Rod verzichten. Letzterer wird aber kurz vor dem Warm-up wieder als einsatzfähig gemeldet und die Wichtigkeit des Genfers Captains unterstreicht auch Sportchef Marc Gautschi vor dem Spiel im MySports-Interview (siehe Tweet). Das Warten vor dem Interview verkürzen wir uns mit einem Hockey-Talk über den finnischen Zweitligisten Hermes Kokkola, die KHL und den ehemaligen Genfer-Junior Jonathan «Jo» Aeby. Irgendwie ist alles Genf und «genferisches» liegt auch in der Luft.

Wo ist Aeby?

Aeby spielte letzten Herbst beim SC Lyss in der MySportsLeague, der «genferische» Stürmer ist dort aber nicht mehr erwünscht. Gautschi hat nur Gutes über den dreifachen Nachwuchs-Schweizermeister (zweimal mit der U20 und einmal mit der U17) mit Servette berichtet. Sportchef Gautschi hat sich noch vor der ersten Pause über den Mann aus dem eigenen Nachwuchs erkundigt und erläutert mir in der Drittelspause dessen Clubsuche in der Romandie. Aeby selber bestätigt die Aussage des Sportchefs noch vor Genfs 3:1-Sieg per WhatsApp-Nachricht. Bestätigt hat sich auch die Aussage von Gautschi über die Wichtigkeit von Kapitän Rod, dessen Vater Jean-Luc einst für beide Kontrahenten gespielt hat, welcher seine Mannschaft an einem «genferischen» Abend zum Ausgleich der Viertelfinal-Serie führt.

15. April 2021

Genf-Servette – Freiburg-Gottéron 3:1 (1:0, 0:1, 2:0)
Patinoire les Vernets. – 0 Zuschauer. – SR Lemelin/Mollard, Altmann/Wolf. – Tore: 4. Smirnovs (Vermin, Moy /Ausschluss Kamerzin) 1:0. 37. Mottet (Desharnais) 1:1. 52. Tömmernes (Vermin, Jacquemet) 2:1. 60. (59:44) Vermin (Winnik, ins leere Tor) 3:1. – Strafen: Genf-Servette 4-mal 2 Minuten, Freiburg-Gottéron 5-mal 2 Minuten. – Bemerkungen: PostFinance-Topskorer: Arnaud Montandon; Herren. Genf-Servette ohne Maurer, Mercier, Richard (alle verletzt) und Asselin (überzähliger Ausländer), Fribourg-Gottéron ohne Brodin und Rossi (beide verletzt). Freiburg-Gottéron von 58:24 bis 58:27 und 58:41 bis 59:44 ohne Torhüter.
Genf-Servette: Descloux; Jacquemet, Tömmernes; Karrer, Le Coultre; Guebey, Völlmin; Smons; Vouillamoz, Winnik, Omark; Rod, Fehr, Vermin; Moy, Kast, Miranda; Arnaud Montandon, Berthon, Patry; Smirnovs.
Freiburg-Gottéron: Berra; Gunderson, Chavaillaz; Sutter, Furrer; Kamerzin, Jecker; Abplanalp; Bougro, Schmid, Jörg; Stalberg, Desharnais, Mottet; Herren, Marchon, DiDomenico; Sprunger, Walser, Bykow; Jobin.

Premiere für die Ewigkeit

Die Pre-Playoff-Premiere in der Schweiz wird durch das verflixte Corona-Jahr wohl immer in Erinnerung bleiben, «damals wurden doch die Pre-Playoffs eingeführt, im Jahr der ersten Pandemie», wird man wohl dereinst sagen. Die Schweiz ist das letzte Land Europas grosser Hockeynationen, welches den neuen Vor-Playoff-Modus adaptiert. Finnlands SM-liiga war 2004-05 der Vorreiter dieses Spektakels. Zwei Jahre später folgten Deutschland und Tschechien, 2013-14 Schweden und vor zwei Jahren die Slowakei. Bern und Rapperswil-Jona sind die ersten Nutzniesser der schweizerischen Version und gehen, im Land der ängstlichen Favoriten, erstmals als Sieger hervor.

Im zweiten Spiel adaptiert sich die leere, imposante PostFinance-Arena auf die Torproduktion des Heimteams und dem amtierenden Schweizermeister, aktuell der längste Schweizermeister seit dem HCD beim Zweiten Weltkrieg, gelingt kein Treffer gegen Sandro Aeschlimann und Co. Bündner und Berner haben sich im Lauf der Jahre schon sieben packende Playoff-Duelle geliefert, dabei fünfmal mit dem besseren Ausgang für die gelb-blauen. Dies gelingt dem hervorragend eingestellten Team von Christian Wohlwend vorerst auch im zweiten Spiel der neuen Pre-Playoffs.

Derweil fällt der erste Favorit 160 Kilometer östlich von Bern durch das «Swiss-Cheese-Modell», Das Schweizer-Käse-Modell ist eine Verkettung von Unfallursachen, welche von latenten und aktiven menschlichen Fehlern, im Zusammenhang mit einer ungünstigen Kombination vieler ursächlicher Faktoren zu einem unerwünschten Ereignis führen. Mehr gibts dazu nicht zu sagen.

Mehr zu sagen hätte es bei der Trauerminute zu Ehren vom langjährigen SCB-Funktionär Max Sterchi gegeben. SCB-Original und Parkplatz-Chef Jüre Wymann, bekannt als «SCB-Jüre» hat mir beim passieren der Barriere zu den Presseparkplätzen Sterchis Lieblingsgeschichte erzählt: Es war im Februar 1965, als der SCB in Villars zur letzten und entscheidenden Partie um den Schweizermeistertitel antrat, unter heftigem Schneefall musste das Eis in den letzten zehn Minuten dreimal gereinigt werden, der SCB führte bereits mit 3:0, als das Heimteam einen Spielabbruch forderte, doch Head-Schiedsrichter Heinrich Ehrensperger liess sich davon nicht beirren und die Berner feierten ihren zweiten Meistertitel. Diese Geschichte, so SCB-Jüre, habe Sterchi immer wieder gerne erzählt.

Wer weiss, dereinst wird vielleicht ein langjähriger SCB-Funktionär auch die Geschichte von der leeren PostFinance-Arena, den ersten Pre-Playoffs während der ersten Pandemie, welche nicht nur den Eishockeysport weltweit beeinträchtigt hat, erzählen: Es war im April 2021, als der SCB…

9. April 2021 – Pre-Playoffs

Bern – Davos 0:3 (0:1, 0:0, 0:2)
PostFinance-Arena. – 0 Zuschauer. – SR Salonen/Urben, Schlegel/Burgy. – Tore: 9. Palushaj (Heinen) 0:1. 57. Baumgartner (Nussbaumer) 0:2. 59. Baumgartner (Herzog, Palushaj) 0:3. – Strafen: Bern 4-mal 2 Minuten, Davos 5-mal 2 Minuten. – Bemerkungen: Bern ohne Blum, Rüfenacht, Sciaroni (verletzt), Burren, Sterchi (überzählig). Davos ohne DuBois, Paschoud, Dino Wieser (verletzt), Ullström (überzählig). – 12. Pfostenschuss Palushaj. Marc Wieser im zweiten Drittel verletzt ausgeschieden.
Bern: Karhunen; Untersander, Henauer; Andersson, Zryd; Thiry, Beat Gerber; Colin Gerber; Conacher, Jeffrey, Olofsson; Pestoni, Praplan, Scherwey; Sopa, Heim, Moser; Berger, Neuenschwander, Bader; Jeremi Gerber.
Davos: Sandro Aeschlimann; Nygren, Jung; Stoop, Sund; Heinen, Guerra; Barandun, Hänggi; Marc Wieser, Corvi, Ambühl; Palushaj, Baumgartner, Turunen; Frehner, Egli, Herzog; Nussbaumer, Marc Aeschlimann, Ritzmann.

Der Wahnsinn von Genf

Nach 57 Minuten und 28 Sekunden steht es 1:0 für den HC Genf-Servette, der EHC Biel braucht unbedingt einen Sieg um sich noch direkt für die Playoffs zu qualifizieren. Nach 59 Minuten und 21 Sekunden steht es 5:1 für Biel – unmöglich? Deshalb lieben wir den faszinierendsten Sport der Welt, Biel schiesst innert 112 Sekunden fünf Tore und bleibt damit im Rennen um einen direkten Playoff-Platz. Beat Forster, Yannick Rathgeb (Biel ohne Torhüter), zweimal Fabio Hofer und Janis Moser heissen die Torschützen des «Wahnsinns von Genf.»

Wie vor 45 Jahren

Was für ein Spiel, sechs Kommentatoren legen nach 60 Minuten mit ungläubigen aber glücklichen Gesichtern ihr Headset ab, einen Treffer haben wir in 57 Minuten kommentiert… …der Rest geht in die Geschichtsbücher ein. Apropos Geschichte, die Seeländer verblüfften schon einmal mit einem Torrausch: Am 6. Januar 1976 lag Biel nach 57 Minuten gegen den HC Sierre mit 4:6 Toren in Rückstand in die Überraschung für die Walliser gegen den Leader schien perfekt. Nur eine Minute später stand es 8:6 für die Hausherren. Was für ein Schlussspurt, angefeuert von 7’700 Zuschauern, schossen die Seeländer innert 53 Sekunden vier Tore. Reto Lohrer, René Berra, Barry Jenkins und René Stämpfli hiessen die Torschützen zwischen 57:21 und 58:14 beim «Wunder» von Biel.

Das «Wahnsinn» von Genf geht unter die Haut, Direktbeteiligte und Journalisten sind Minuten später noch beflügelt durch den Effort der Seeländer. Aber nicht alle sind derart aufgewühlt, Beat Forster, «Flaschenöffner» für Biel und Urheber des Genfer Unheils, ist schon kurz nach dem Spiel äusserst gelassen, was man von mir und meinen Fragen nicht behaupten kann (Interview): Sollte es nicht «abgezeichnet» heissen? Einen äusserst turbulenten Tag hinter sich hat Biel-Sportchef Martin Steinegger, am Nachmittag sieht er wie Biels U20-Elit-Junioren im Playoff-Final gegen Zug (2:7) fünf Gegentore innert 12 Minuten und 42 Sekunden hinnehmen müssen, ein paar Stunden später wird er Zeuge des Wahnsinns von Genf.

Verarbeiten ohne Bier

Auch Fabio Hofer, der an drei Treffern beteiligt ist, hat sowas weder in Österreich noch in der Schweiz je erlebt und muss dies geistig noch verarbeiten. Nach den Interviews würden sich die Berichterstatter nach so einem Spiel normalerweise in der Prime’s Fine Food & Sports Bar, dem ehemaligen «McSorley’s», ein Bierchen gönnen um erlebtes gemeinsam zu verarbeiten. Ja dieses Spiel hätte eine ausverkaufte Les Vernets Halle mehr als verdient gehabt, es ist eines jener Spiele über welches man in 45 Jahren noch darüber spricht, ob dann noch einer weiss, weshalb es keine Zuschauer gab?

Wie ich, muss Fabio Hofer eben erlebtes noch verarbeiten. (Andreas Ruefer)

Der 112-Sekunden Wahnsinn von 2021

ZeitSekundenTorschützeSpielstand
57:290Forster (Hofer, Künzle)1:1
57:4112Rathgeb (Pouliot, Trettenes)1:2
58:0334Hofer (Lindbohm, Komarek)1:3
58:5687Hofer (Van Pottelberghe)1:4
59:21112Moser (Pouliot, Brunner)1:5

Das 53-Sekunden Wunder von 1976

ZeitSekundenTorschützeSpielstand
57:210Lohrer5:6
57:4625Berra6:6
57:5938Jenkins7:6
58:1453Stämpfli8:6

3. März 2021

Genf-Servette – Biel 1:5 (1:0, 0:0, 0:5)
Les Vernets. – 0 Zuschauer. – SR Hebeisen /Fluri; Obwegeser /Progin. – Tore: 19. Omark 1:0. 57:29 Forster (Hofer) 1:1. 57:41 Rathgeb (Ausschluss) 1:2. 58:04 Hofer 1:3. 58:56 Hofer (Ausschluss/ins leere Tor) 1:4. 59:21 Moser (Komarek/Ausschluss) 1:5. – Strafen: Genf-Servette 4-mal 2 Minuten, Biel 3-mal 2 Minuten. – Bemerkungen: Genf-Servette ohne Maurer, Mercier (beide verletzt), Fritsche und Riat (beide überzählig). Biel ohne Fey (verletzt während Einlaufen), Hischier, Hügli (beide Isolation), Rajala (rekonvaleszent), Kreis, Tanner (beide vorsorgliche Quarantäne), Fuchs, Lindgren, Lüthi (alle verletzt) und Schläpfer (Langenthal), dafür erstmals mit Augsburger und Jaquet (B-Lizenz La Chaux-de-Fonds). Biel von 57:33 bis 57:41 ohne Torhüter. Genf-Servette von 58:12 bis 58:56 ohne Torhüter.
Genf-Servette: Descloux; Jacquemet, Tömmernes; Karrer, Le Coultre; Völlmin, Smons; Guebey; Moy, Fehr, Miranda; Vouillamoz, Winnik, Omark; Patry, Richard, Vermin; Montandon, Kast, Berthon; Smirnovs.
Biel: Van Pottelberghe; Moser, Stampfli; Rathgeb, Lindbohm; Sartori, Forster; Jaquet; Brunner, Pouliot; Trettenes; Ulmer, Komarek, Hofer; Kessler, Cunti, Künzle; Kohler, Gustafsson, Augsburger.