Und dann kommt Furrer

Und dann kommt Furrer

Wir haben uns dieses Szenario bereits im Presseraum heraufbeschwört, beim gemütlichen Tête-à-Tête tief unter der Tribüne der alten Patinoire Saint-Leonard um 18 Uhr 15 fallen Sprüche über eine mögliche Overtime, unser Live-Spotter Marin Keller, einst selbst eine bekannter 3. Liga-Hockey-Akteur und heutiger Souffleur für die vier Live-Kommentatoren für MySports und SRF/RTS, fragt mich schon vor dem Spiel ob ich ihn im Falle einer zweiten Overtime mit dem Auto nach Bern mitnehmen könne, da dann kein Zug mehr fahren würde. Selbstverständlich nehme ich den Zentralschweizer 3. Liga-Meister, unsere einzige Gemeinsamkeit der Aktivzeit, mit. Ich fühle mich ready für einen neuen Overtime-Rekord entgegne ich Keller.

Pressechef Pierre Renaud eröffnet die Sitzung mit Regiesseuren, Aufnahmeleitern, Spottern, Journalisten, Kommentatoren und Kameramännern, begleitet vom üblichen Gruyère-Käsebuffet stärken wir uns für die 60 bevorstehenden Spielminuten. Die Stimmung ist gut, die BCF-Arena war für dieses Spiel innert 20 Minuten ausverkauft. Ein Playoff-Spiel ist eine andere Liga, es hebt sich schon im Vorfeld vom üblichen Qualifikationsspiel ab. Nicht nur die Pressetribüne ist da jeweils bis auf den letzten Platz gefüllt, sondern vor allem die Intensität der Akteure auf dem Eis steigert sich, gefühlt, ums doppelte. Das ist die Zeit wofür wir diesen Sport so lieben und die Vorstellung gerade die heutige Partie könnte in drei- oder vier Verlängerungen vorgeführt werden, steigert die faszinierende Vorstellung zusätzlich.

Nach 15 Minuten könnte es schon 3:0 stehen

Nach 13 Minuten scheinen sich aber all diese Vorstellungen über dieses Szenario bereits in Luft aufzulösen, Fribourg-Gottéron führt nach zwei herrlichen Powerplaytreffern klar mit 2:0 und scheint die Partie schon im ersten Drittel zu entscheiden. In der 15. Minute verpassen die Hausherren, vor einer frenetischen Kulisse, gar noch den Treffer zum 3:o. Das wärs gewesen, doch «wärs» sorgt bis 44. Minute zum Ausgleich und der unbequeme Gegner aus Lausanne bleibt hartnäckig und kommt, wie schon im zweiten Spiel, erneut zur Overtime. Jetzt gehts los. Das ausgemalte Verlängerungs-Szenario aus den Katakomben um 18 Uhr wird rund viereinhalb Stunden später zur Realität und “mein Spiel” wird zum Live-Spiel auf MySports-One. Hoffentlich gibts kein schnelles Ende, sind meine Gedanken, denn ich habe – trotz einer Frühschicht gleichentags zwischen 5 Uhr und 13 Uhr – die Energie, die Zeit und keine Termine am nächsten Vormittag.

80 Minuten sind gespielt, 23 Uhr 22, kurz vor der zweiten Overtime. (Krein)

Um 23 Uhr 25 gehts in die zweite Overtime und die Diskussionen auf der Medientribüne gewinnen an Dynamik, die Recherchen über die Rekordspiele, auch jenes über den Weltrekord in Norwegen von 214 Minuten und 14 Sekunden, sind in aller Munde. Verbandsmann Pascal Vögtlin, dessen Vater Willi in der Freiburger Patinoire des Augustins einst, am 15. Oktober 1980, die erste NLA-Affiche zwischen den heutigen Gegnern gepfiffen hat, hat den Rekord auf Twitter ausgegraben, 117 Minuten und 43 Sekunden sind Schweizer-Rekord. Mark Arcobello beendete 2019 die Partie in der dritten Overtime für den SCB in Genf. Soweit sind wir noch nicht, begeben wir uns vorerst in die zweite Verlängerung, denn eine alte Weisheit sagt, wenn du beginnst zu recherchieren, ist der Zauber innert Kürze vorbei. Nicht so an jenem 29. März 2022 im Freiburger Üechtland. Denn kurz nach Mitternacht gehts in die, nun doch langsam geschichtsträchtige, dritte Runde.

100 Minuten sind gespielt, 00 Uhr 12, kurz vor der dritten Overtime und Furrers Schlusspunkt. (Krein)

Nochmals werden die Rekorde überprüft und vorab notiert, die Verpflegungsstationen unter den Tribünen laufen auf Hochtouren, für uns (Kommentatoren) welche nicht früher in die Pause abwandern können ein Ding der Unmöglichkeit an einen Burger oder sonst was zu kommen, geschweige denn auf die Toilette. So geht es kurzum per Medien-Lift zum Parterre, jedoch verfügt auch der Presseraum über keine Brot und Käse-Reserven mehr. Getränke können nur noch per Wasserhahn in eine leere Pet-Flasche aus der Leergut-Harasse aufgefüllt werden und SRF-Mann Silvan Schweizer schenkt mir einen Getreideriegel.

Der Gang zur Toilette, wird in der 18-minütigen Pause ebenfalls zur Herausforderung, doch da gibts ein Insider-WC für Helferinnen und Helfer via Freiburger Spielerbank. Nach dem pausentlichen Kurztrip gehts nach 100 Spielminuten in die dritte Overtime – Wow! Der Rekord naht, noch knapp 18 Minuten und das Spiel geht als längste Partie unseres Landes in die Geschichtsbücher ein. Über die Rekordzeiten werden ich zusätzlich durch unsere Aufnahmeleiter Philipp Kobel und Ken Vettore im zürcherischen Erlenbach à Jour gehalten. Aber dann kommt Furrer… …11 Minuten und 45 Sekunden zu früh für den Rekord, jedoch nicht früh genug für die 8’934 – der Spuk ist zirka um 0 Uhr 20 vorbei und nach einem Interview-Marathon geht die Nacht für die meisten Beteiligten als “längste Hockey-Nacht” in die persönlichen Annalen ein. Ausgerechnet Furrer, im Herbst 2002 hat er bei mir als Feusi-Schüler und SCB-Junior sein erstes Interview fürs SCB-Magazin Spirit gegeben. 20 Jahre später, mittlerweile beide in die Jahre gekommen, gehts in die vorerst letzte Interview-Runde.

29. März 2022 – Viertelfinal Spiel 3

Fribourg-Gottéron – Lausanne 3:2 (2:0, 0:1, 0:1, 0:0, 0:0, 1:0) n.V.
BCF-Arena. – 8’934 Zuschauer (ausverkauft). – SR Piechaczek /Dipietro, Fuchs /Kehrli. – Tore: 12. (11:42) Sprunger (DiDomenico, Gunderson /Ausschlüsse Glauser, Miele) 1:0. 13. (12:36) DiDomenico (Mottet, Desharnais /Ausschluss Miele) 2:0. 27. Krakauskas (Douay) 2:1. 44. Bertschy (Bozon, Heldner) 2:2. 105. (104:58) Furrer 3:2. – Strafen: Fribourg-Gottéron 5-mal 2 Minuten, Lausanne 6-mal 2 Minuten. – Bemerkungen: Fribourg-Gottéron ohne Rantakari (überzähliger Ausländer).
Fribourg-Gottéron: Berra; Gunderson, Jecker; Sutter (2), Furrer (2); Diaz, Dufner; Chavaillaz; Marchon, Desharnais (2), Mottet; Sprunger, Schmid, DiDomenico (2); Rossi, Walser, Jörg; Brodin, Haussener, Bykow (2); Bougro.
Lausanne: Boltshauser; Glauser (4), Genazzi; Marti, Gernat; Heldner, Frick; Krueger; Bertschy, Fuchs (2), Sekac; Paré, Miele (2), Bozon; Riat (2), Jäger, Kenins (2); Krakauskas, Maillard, Douay; Baumgartner.

Die längsten Spiele der Schweiz

RangHeimGastDatumDauer
1.GenfBern21.3.2019117:43
2.FribourgLausanne29.3.2022105:58
3.KlotenRapperswil17.4.2018102:32

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