Der zweite Kasslatter

Am 18. September 2021 erzielt der Spieler mit der Rückennummer 71 und dem speziellen Namen «Kasslatter» sein erstes Tor für den SC Lyss. «Kasslatter» wird sich manch Lysser denken, nie gehört? Doch! Und zwar schon in Lyss, allerdings dürfte dies nur den ältesten Besucher in der Seelandhalle ein Begriff sein. 150 Zuschauer sehen am 26. März 1972 das erste Tor eines «Kasslatters» in der Lysser Eissporthalle. Im Rahmen der U19-Europameisterschaft erzielt Fabrizio Kasslatter beim 12:4-Sieg der Italiener gegen Holland das 1:1.

Der zweite Kasslatter

Knapp 50 Jahre später kommt mit Hannes der zweite Kasslatter ins Berner Seeland. Die «Kasslatters» sind hockeytechnisch im italienischen Val Gardena in den Dolomiten Zuhause. So stehen beim HC Gröden aktuell neben Sportchef Franz Kasslatter auch Fabian (Hannes‘ Cousin) und Marc Kasslatter im Kader. Kasslatters prägen über Jahre die Clubgeschichte des HC Gröden, zwischen 1969 und 1981 holen die Grödner vier «Scudetto» (Meistertitel) und jedesmal steht ein Kasslatter im Meisterkader: Gottfried (1969 und 1976) und Fabrizio (1976, 1980 und 1981). Beim letzten Titel ist Hannes‘ Vater Christian, der ebenfalls in Gröden gespielt hat, erst 13-jährig und damit zu Jung für die grossen Zeiten der Grödner.

Für die grosse Zeit der Lysser will Christians Sohn Hannes in der aktuellen Spielzeit sorgen. Der Südtiroler ist bei den Seeländern auf Anhieb integriert, hilft auf den Nachwuchsstufen ab U13 abwärts und übernimmt sogar die Leitung der Hockeyschule. Über die Festtage fährt Kasslatter in seine Heimat um die Weihnachtstage bei seiner Familie im Val Gardena zu verbringen. Was zu diesem Zeitpunkt noch niemand weiss, dass sein letztes Spiel für den SC Lyss bereits am 4. Dezember 2021 über die Bühne gegangen ist.


„Ich werde sie auf jeden Fall vermissen.“

– Hannes Kasslatter, über seine Lysser Teamkollegen

Familiäre Gründe ziehen den 22-jährigen und ehemaligen U18- und U20 Internationalen Italiens zurück in seine Heimat. Kasslatter wird vorerst nicht mehr in die Schweiz zurückkehren und verlässt den SC Lyss nach 18 Partien und elf Skorerpunkten. Kasslatters Schweizer-Odyssee, welche er im Alter von 15 Jahren beim HC Lugano angetreten hat, endet praktisch zeitgleich und gleich überraschend wie Gregory Hofmanns Karriere bei den Columbus Blue Jackets.

«Ich werde sie auf jeden Fall vermissen», sagt Kasslatter über seine Lysser Teamkollegen und auch über das SCL-Gründungslokal Gasthof Bären, wo Kasslatter zusammen mit drei Teamkollegen einquartiert gewesen war, verliert der «Ladiner» nur gute Worte. Vermissen wird der ehemalige Lyss-Topskorer auch die Hockeyschule, welche er jeweils Sonntags Vormittags geleitet hat. Denn nicht nur die Hockey-Knirpse haben von Hannes gelernt, sondern auch Hannes von den Kindern, wie er wehmütig betont.

Der verlorene Sohn kehrt zurück

In Lyss verliert man den flotten Südtiroler nur ungern und man wird nicht noch einmal 50 Jahre warten wollen, bis der nächste «Kasslatter» auf Lysser Eis ein Tor erzielen wird. Kasslatter, welcher in Ausleihe auch vier Spiele beim SC Langenthal bestritten hat, wird seine Karriere bei seinem Stammclub HC Gherdëina, wie der Club im «Ladiner-Dialekt» genannt wird, in der zweitklassigen österreichisch-italienischen Alpenliga- und in der italienischen Serie-A fortsetzen. Im Team vom finnischen Trainer Hannu Järvenpää wird der verlorene Sohn, nach sieben Jahren in der Schweiz, bereits als Verstärkung angekündigt.

Ein ganz normaler Mittwoch in Arosa?

Ein normaler Mittwoch in Arosa, in Lindemann’s Overtime Bar kümmert sich der Herr des Hauses liebevoll um seine Gäste. Im Buch «Arosa in 100 Geschichten», widmet Autor und Herausgeber Peter Röthlisberger, Guido Lindemann vier Seiten und bezeichnet ihn als «der letzte König.» Bei diesem letzten König habe ich eine Audienz, Guido setzt sich mit einem Espresso zu mir an den Tisch und erzählt von seinem Unfall, von den Enkelkindern im fernen Leksand und von der Verletzung seines Sohnes Kim, welcher vermutlich die ganze Saison mit dem EHC Arosa verpassen wird.

Guido Lindemann, vor seinen legendären Trikots in seiner Overtime Bar. (Krein)

Selbst während des Gesprächs entgeht Lindemann nichts, er begrüsst und verabschiedet kommende und gehende Gäste und hat jeden Winkel seiner Bar, welche gleichzeitig ein Lindemann-Museum ist, im Auge. «Tschau Guido», begrüsst Lindemann den neusten Gast, «er war unser Meistergoalie», erklärt Lindemann. Guido Brun? Habe ich im Hinterkopf, während der andere Guido, zwei Gäste aus Langnau verabschiedet, dazu gibts noch eine Langnauer Anekdote, welche Brun für Lindemann ergänzt.

Ich werde hellhörig und eine spannende Runde scheint sich anzubahnen. Durch meine Herkunft landen wir in Lyss und Brun erzählt vom Meistertitel 1980 in Biel, «die Nacht vor dem Meistertitel logierten wir in Lyss und hatten noch ein Training», beide Meisterspieler von 1980 kommen ins Schwärmen und Anekdoten der Meisternacht von Biel fliessen nur so über den Bartisch. Am liebsten hätte ich mein iPhone gezückt und alles aufgenommen, doch das würde den magischen Moment zum kippen bringen und die Geschichten beeinflussen.

„Am liebsten hätte ich mein iPhone gezückt und alles aufgenommen.“

— Krein über den Moment mit Brun und Lindemann

Torhüter Guido Brun gab nach seinem Shutout beim Meistertitel 1980 den Rücktritt. (Krein)

Der Meistergoalie erzählt von seinem Stammclub, dem SC Luzern, Richard Bucher, seiner Zeit beim HC La Chaux-de-Fonds, von Lasse Liljas Goalietraining am Mittag und der Schussqualität von Markus und Guido Lindemann. Brun selber wechselte in meinem Geburtsjahr vom Spitzenclub La Chaux-de-Fonds zu Arosa. Mit den Neuenburgern wurde er zweimal Vizemeister, doch 1980 musste endlich der Titel her. «Jetzt oder nie», wusste Brun in der Nacht vor dem Meistertitel. Die Ausgangslage war äusserst Spannend, Arosa musste in Biel gewinnen und Davos musste zuhause den SC Bern bezwingen.

Brun wie Eruzione

Arosa siegte vor 9’000 Zuschauern in Biel mit 3:0, Guido Lindemann schoss in der neunten Minute das Game-Winning-Goal, während der SC Bern in Davos mit 3:8 unterlag. Bruns Vorahnung wurde mit seinem einzigen Meistertitel belohnt und der Luzerner hat, wie Mike Eruzione nach Olympia-Gold in Lake Placid, seine Karriere mit der Goldmedaille beendet. «Doch diese Geschichten interessieren heute nur noch uns selber», sagt Brun, dennoch dürfen solche Anekdoten nicht verloren gehen, sie gehören zum Kulturgut des Eishockeysports.

Matthias Kappeler führt den EHC Arosa mit viel Herzblut ins nächste Kapitel. (Krein)

Und wie stehts heute um Arosa? Bei einem Abstecher im EHC Arosa-Fanshop an der Poststrasse gibts nicht nur Bruns und Lindemanns Geschichte in Bildern, sondern auch die aktuellsten Fakten zum Traditionsclub. Der neue Geschäftsführer, welcher auch den Fanshop führt, Matthias Kappeler, der Nachfolger von Adrian Fetscherin, erzählt von den Herausforderungen beim Nachwuchs und Spielbetrieb in der MySports-League. Die zwölf Nachwuchsspieler über die Stufen U13 bis U20 trainieren gemeinsam in Arosa, spielen aber beim EHC Lenzerheide-Valbella. Derweil klingelt das Telefon und der ehemalige Meisterkeeper Brun ist am Apparat, es geht um das Fanionteam. Auch wenn die alten Geschichten heute kaum noch interessieren, Arosas Eishockey lebt von den Legenden von gestern, dies auch an einem ganz normalen Mittwoch?

Der schmale Grat

Beim SC Lyss in der MySports-League (MSL) spielt der 10-fache Biel-Spieler Kristian Suleski. Der punktbeste Verteidiger, der in Biel den Sprung (noch) nicht geschafft hat, nimmt unter dem ehemaligen Elite-Trainer Serge Meyer einen neuen Anlauf. Der läuferisch starke «Back» gehörte an der U18 Weltmeisterschaft 2015 in Zug und Luzern, zum letzten grossen Schweizer Team.

Tor im WM-Halbfinal

Suleski schoss im WM-Habfinal gegen Finnland, gegen den aktuellen Columbus Blue Jackets-Prospect Veini Vehviläinen, den zwischenzeitlichen 2:1-Führungstreffer für die Schweiz. Aus der Mannschaft von Manuele Celio, welche erst in der Overtime den WM-Final verpasst hat, spielen heute Nico Hischier, Denis Malgin und Jonas Siegenthaler in der NHL und mit Calvin Thürkauf steht ein weiterer auf dem Sprung in die beste Liga der Welt.

Zehn Akteure spielen in der National-League, sechs in der Swiss-League, und einer in der 1. Liga. Warum spielt der sechstbeste WM-Skorer von damals beim HC St. Imier und warum haben es sechs Spieler bis zum NHL-Draft geschafft? In einer Karriere entscheidet oft nur ein Quäntchen Glück über «Sein oder Nichtsein.» Eine Verletzung, ein verpasstes Training-, ein Klub- oder Trainerwechsel kann eine Laufbahn in eine andere Richtung lenken.

Die U18 von 2015: Tim Guggisberg (Winterthur), Daniel Muff (Pause), Joren van Pottelberghe (Davos); Alain Bircher (Langenthal), Roger Karrer (Genf-Servette), Christian Pinana (Ambrì-Piotta), Jonas Siegenthaler (Washington), Livio Stadler (Zug), Kristian Suleski (Lyss), Serge Weber (Langenthal); Dominik Diem (ZSC Lions), Sandro Forrer (Rapperswil-Jona), Robin Fuchs (St. Imier), Nico Hischier (New Jersey), Makai Holdener (La Chaux-de-Fonds), Auguste Impose (Sierre), Denis Malgin (Florida), Nathan Marchon (Freiburg-Gottéron), Marco Miranda (Genf-Servette), Raphael Prassl (ZSC Lions), Damien Riat (Biel), Calvin Thürkauf (Cleveland), Dominik Volejnicek (Zug Academy)

Zwischenstation

Für Suleski ist die MSL nur eine Zwischenstation, der Seeländer hat für den SC Langenthal, zusammen mit seinen U18-Weggefährten Alain Bircher und Serge Weber, bereits vier Spiele in der Swiss-League bestritten. Derweil kreuzen sich die Wege von Roger Karrer und Raphael Prassl im Nationalteam beim Deutschland-Cup.

Suleskis MSL-Punkt-Spiele

DatumGegnerTorAssist
25.9.2019a-Düdingen10
28.9.2019a-Huttwil01
5.10.2019Wiki12
16.10.2019Wiki12

Suleski gehört, wie in jedem Spiel, zu den besten Lysser Akteuren, gegen Arosa steuert der Verteidiger mit der Rückennummer 88 seinen sechsten Assist- und seinen neunten Skorerpunkt zum zwischenzeitlichen Ausgleich bei. Trotz Suleski reichts gegen Mitaufsteiger Arosa an diesem Abend nicht zu einem Punktegewinn der Seeländer.

19. Oktober 2019 – 10. Runde

Lyss – Arosa 3:5 (1:2, 2:0, 0:3)
Seelandhalle. – 575 Zuschauer. – SR Schober, Amport /Grau. – Tore: 1. Bruderer (Klopfer /Ausschluss Von Dach) 0:1. 12. Carevic (Amstutz) 0:2. 20. Röthlisberger (Mattioni, Balsiger) 1:2. 28. Gerber (Suleski, Blatter) 2:2. 36. Blatter (Gerber) 3:2. 46. Cola (Tosio, Sahli) 3:3. 53. Bruderer (Klopfer) 3:4. 54. Amstutz (Jeyabalan) 3:5. – Strafen: Lyss 5-mal 2 Minuten, Arosa 3-mal 2 plus 10 Minuten (Lampert). – Bemerkungen: Lyss ohne Wüthrich (verletzt), Arosa ohne Brazzola, Däscher und Dünser (alle verletzt), sowie Weber (Militär).
Lyss: Maruccia; Aeschlimann (2), Ryf; Aeschbacher, Röthlisberger; Suleski, Schwegler; Schmid (2); Girardin (2), Balsiger, Siegenthaler; Von Dach (2), Minder, Kovac; Gerber, Blatter (2), Mattioni; Blaser.
Arosa: Kruijsen; Klopfer, Bahar (2); Agha, Carevic; Spinetti, Lindemann; Salerno, Sahli; Lampert (10), Roner (2), Infanger; Bandiera, Amstutz (2), Jeyabalan; Tosio, Cola, Roffler; Bruderer, Hostettler, Pfranger.