Helsinki, wie viel haben wir alle schon davon gehört oder darüber gelesen, wer sich mit Eishockey befasst kommt eher früher als später mit der finnischen Hauptstadt in Kontakt. Eher früh sehe ich im Frühling 1991 die ersten Weltmeisterschaftsspiele aus der Helsingin Jäähalli am TV. Früh fasziniert auch der neue finnische Meister im Europa-Cup Halbfinal 1992, wieder in der Jäähalli und wieder am TV, gegen den Schweizermeister SC Bern. Jokerit prägt das europäische Eishockey gegen Ende der 90er Jahre und verzückt mit seinen violett-türkis-weissen Jerseys quer durch den Kontinent. Eher spät gehts in eigener Sache an die Weltmeisterschaft 2022, endlich in die achtfache WM-Stadt Helsinki.
Die Hartwall Arena steht während der WM 2022 im «russischen Abseits,» im Abseits steht auch das grüne E-Trotti von «Tier.» (Krein)
Spielort ist, aus bekannten Gründen, erstmals seit 1997 nicht mehr Helsinkis Prunkstück Hartwall Arena. Jokerits Heimstätte liegt etwas ausserhalb und ist per E-Trottinett innert 30 Minuten vom Stadtzentrum zu erreichen, zu meinen Erschrecken liegt die Arena schon ausserhalb des Geschäftsbereichs meines Trottinett-Anbieters «Tier», ob ich je wieder zurückkehren kann? Zweifellos wäre dies der perfekte Austragungsort für die erstmaligen Spiele nach der Pandemie. Auf halbem Weg, gleich beim Olympischen Park liegt die altehrwürdige Jäähalli. Geschichtlich gehts hier per Zeitreise in ruhmreiche Zeiten des WM-Kults. Bei der WM 1974 gabs hier den Volvo-Skandal – die Schweden sind mit unerlaubter Werbung ihres Autoherstellers eingelaufen – bei der WM 1982 spielte Wayne Gretzky sein einziges Mal mit Kanada an den Weltmeisterschaften und 1991 ging hier die letzte WM mit Acht Teams über die Bühne. Trotz unerlaubter Entfernung mit meinem Tier-Gefährt komme ich ohne Panne für 12 Euro 66 wieder ins Stadtzentrum zurück.
Zurück kehrt auch die Jäähalli, am 21. Mai 2022, ins internationale Rampenlicht. Der Kreis der Jäähalli, am Nordenskiöldinkatu 11-13, schliesst sich mit einem internationalen Meilenstein, Andres Ambühl löst den ewigen Rekordspieler Udo Kiessling ab und dies in der gleichen Spielstätte wo die deutsche Legende Acht von seinen 119 WM-Partien absolviert hat. 1991 hat Kiessling in Helsinki sein letzten WM-Turnier gespielt. Die Jäähalli, so scheint es, ist für Ambühls Rekord die richtige Bühne. Ambühl holt hier nämlich bei seinem ersten Auftritt, am 22. März 2001 mit der U18-Nationalmannschaft die WM-Silbermedaille (2:6 Final-Niederlage gegen Russland). Später spielt Ambühl an der WM 2012 in der erwähnten Hartwall-Arena nochmals in Helsinki. Am 22. September 2015 verliert Ambühl mit dem HC Davos in der Jäähalli gegen IFK, mit Headcoach Antti Törmänen, im Champions-Hockey-League 16-Final mit 1:2.
Ambühls 120. WM-Partie gegen Weltmeister Kanada bietet Hochspannung und Spektakel, da ist alles drin was das Hockey-Herz begehrt und die alternde, zu Ambühl passende Spielstätte wird zur Nebensache. Neben dem Rekordspieler sind es die Schweizer Ausnahmekönner aus Übersee welche «ohne jeden Zweifel erhaben sind», wie es ein bekannter Deutscher Entertainer sagen würde. Die Mannschaft beeindruckt mit einer schon fast unheimlichem Geschlossenheit. Das hohe Tempo wird durch die steile Tribüne und durch das schmalere Eisfeld noch verstärkt, dieses Team von Patrick Fischer hat alles was es braucht um ganz vorne mitzuspielen.
Klassentreffen Teatteri
Ganz vorne mit spielt auch der Schweizer Anhang, die Schweizer Hockeyfans sind die Holländer des Eishockeys, die rot-weisse Welle pflügt sich quer durch die finnische Hauptstadt und ist zu jeder Tageszeit allgegenwärtig. In unserem Hotel (Finn-Hotel), im Herz der abendlichen Herrlichkeit gleich beim Irish-Pub am Kalevankatu, liegt jede Nacht irgend ein abgesoffener Schweizer auf einer Treppe oder im Korridor. Ein anderes Klassentreffen, wie es der SRF-Co-Kommentator passend ausdrückt, findet im Restaurant Teatteri statt. Die Hockeyprominenz um Funktionäre, Fan-Gruppierungen und Spieler gönnt sich dort einen späten Umtrunk. Ja, Spieler sind auch dabei, neben drei Schweizer Akteuren, welche das lokal zu einer anständigen Zeit verlassen, beweisen die Kanadier ihre Trinkfestigkeit. Der 195m Hüne Adam Lowry ist gut gelaunt und nimmt die Gratulation über seinen Treffer (2:1) gegen Leonardo Genoni gerne entgegen. Die weiblichen «Groupies» tummeln sich um den kanadischen Tisch und Supertalent Kent Johnson hat alle Hände voll zu tun.
Erinnerungen an Quebec 2008 werden wach, die Russen waren damals jede Nacht bis in die frühen Morgenstunden unterwegs, am Ende holten sie den Weltmeistertitel. Für die Krimi-Autorin Donna Leon, welcher wir kurz vor unserem Abflug in der Abflughalle zufällig über den weg laufen, würden die Kanadier eine perfekte Rolle für den Helsinki-Krimi abgeben. Als finanzieller Krimi entpuppt sich auch der Bierkonsum, die teuersten Hopfengetränke gehen für 12 Euro 50 pro Bier in der Bankabrechnung ein. Lapin Kulta, Koff (langjähriger IFK-Sponsor), Karhu, Karjala (da gabs auch schon einen Cup) oder Aura heissen die finnischen Aushängeschilder an den Zapfhähnen.
Wie das Bier zur WM gehören auch die Trottinetts zu Helsinki. Die E-Trottis sind allgegenwärtig und summieren sich im dreistelligen Zahlenbereich jeweils vor den Schweizer Spielen auf dem Gelände der Jäähalli. Die Hockeywelt ist in Helsinki, von den flotten Österreichern aus dem Vorarlberg, über den DEG-Fan – der den Brehmstrasse-Kult noch erlebt hat, über Asconas Kultspieler und heutigem Regio-League Boss, über den treuen Briten im Slough Jets-Jersey bis zu Zürichs aktuellem Sportchef und ehemaligen Presseverantwortlichen. Während des Italien-Spiels kaum zu übersehen ist die gelb-schwarze Fan-Gruppe des HC Pustertal/Val Pusteria, angeführt durch Kult-Mann Patrick Kirchler. Der Brunecker Kirchler begleitet die Azzurris seit 1993 an fast jedes WM-Turnier und gilt als weltbekannte Koryphäe in Sachen Hockeyjerseys.
Selbstverständlich darf auch ein Besuch bei den SRF-Kommentatoren und Berufskollegen Reto Müller und Philippe Furrer nicht fehlen. Auf dem Heimweg nach dem Frankreich-Spiel folgt ein kurzer und höchst kurzweiliger Fussmarsch mit Ralph Krueger. Krueger hat während der WM 1997 seinen Vertrag bei Swiss Ice Hockey in Helsinki unterschrieben und legte damit hier den Grundstein für das heutige Eishockey-Daseins unseres Landes. Helsinki ist zwar nicht Tampere, dennoch unterstreicht die finnische Hauptstadt während dieser WM ihre Wichtigkeit auf der Eishockey-Landkarte und tritt früher oder später mit so manchem in Kontakt.
Fantastisch würde ich den Aufenthalt bezeichnen, nun was hat Quebec zu einem fantastischen Ort gemacht? Waren es die zwei-drei Spiele welche wir täglich miterleben durften? Waren es vielleicht die Nightclubs «Maurice» und «Chez Dagobert?» Waren es die interessanten Geschichten welche rund und vor allem neben dem Eis über die Bühne gingen? War es die Fan-Meile mit den zahlreichen heissen Animationsgirls auf ihren futuristischen Zweirädern? War es die Faszination und der Bekanntheitsgrad des Russen Alexander Radulow (er ist DER Held in Quebec)? Das Treffen und Biertrinken mit den Franzosen Sébastien Bordeleau und den Treille-Brüdern? Oder vielleicht doch eher das Treffen in den Katakomben des Colisées mit Mark Streit? Die Altstadt von Quebec oder doch eher die heldenhaften Autofahrten unseres Organisators? Nicht zuletzt dürfen wir «Ernst» (unser Ticketkäufer aus der Schweiz, der seit 40 Jahren in Quebec lebt) und den Bieler Hockeyfan auf dem Velo Downtown Quebec nicht vergessen!
Sébastien Bordeleau hat uns an Frankreichs «Ligaerhalt-Party» im Club-Maurice eingeladen. (Michael Möri)
Das Hockey-Paradies
Zweifellos war es für uns das Paradies, Hockey schauen, Hockey leben, Hockey kaufen, Hockey erleben und Hockey staunen, zwischen Alkohol, Ausgang, Morgenessen, wenig Schlaf (nur ein Mann hatte genügend Schlaf), Autofahrten, 1’000 geilen Weibern, feinem und reichhaltigem Essen und grossen TV-Screens – und die Erkenntnis, dass man den Hockeysport nicht mehr ganz so ernst nehmen kann oder darf – oder, dass auch hier «Deppä», «Giglä» und «Gelackmeierte» zu finden sind. Auch wir outeten uns hin und wieder als Deppen.
„Der grosse Held war Alexander Radulow.“
— Radulow mit der Stafford-Smythe-Trophy (MVP) 2006
Der grosse Held der Weltmeisterschaft 2008 war für mich der Russe Alexander Radulow, er ist DJ im Nobelclub Maurice, Topskorer der Nashville Predators, sein Trikot hängt unter der Hallendecke des Colisées, ist russicher Nationalspieler, ist Memorial-Cup-Sieger und MVP mit den Quebec Remparts (siehe Zitat), wurde als Nr. 15 gedrafted, ist Spieler des Jahres aller kanadischen Juniorenligen (QMJHL, OHL, WHL), hat ein grosses Beziehungsnetz und vergnügt sich mit Schweizer Spielerfrauen, das macht ihn zu meinem WM Helden 2008.
Helden und Deppen
In gewisser Weise waren wir beides, manchmal Helden, manchmal Deppen! Als Deppen haben wir unsere sieben Tickets der Viertel-, Halb- und Finalspiele für je 25 kanadische Dollar an einen ehemaligen Schweizer Geschäftsmann verkauft – eigentlich haben wir unsere Seele verkauft. Als Deppen sah uns wohl auch die englische «Miss-Moneypenny-Verschnitt-Flight-Attendant» in der Maschine der British Airways von Montreal nach London. Eher Helden waren wir auf der Tribüne des Pepsi-Colisées, im «Maurice», im «Chez Dagobert» oder für den Franzosen Yorick Treille, der uns jeweils aus der Warteschlange vor dem Club Maurice durch den VIP-Eingang eingeschleust hat. Nun dann bis zur nächsten WM in der Schweiz, auf der Suche nach neuen Helden und Deppen!
Das Ticket-Booklet, in Quebec haben wir das ganze WM-Kontingent gekauft. (Krein)
Mark Streit kurz vor dem Interview beim Schweizer Fernsehen. (Lukas Studer)
Sieg gegen Schweden
Was für ein Spiel, was für eine Schlussphase und welch‘ Erleichterung danach. (unbekannter Schweizer)
Knapp ‚9000 Zuschauer sitzen bei Frankreich – Weissrussland im Colisée, also rund 1’000 mehr als beim Spitzenspiel Schweiz – Schweden. Im francophonen Quebec avanciert Frankreich zu einer Art «Kanada II.» (Krein)
7. Mai 2008 – 19 Uhr
Frankreich – Weissrussland 1:3 (1:1, 0:1, 0:1) Colisée. – 8’880 Zuschauer. – SR Partanen /Savage (Fi/Ka), Eglitis /Semjonow (Lett/Est). – Tore: 13. Kaljuschny (Andrei Kostitsyn, Sergei Kostitsyn) 0:1. 20. Coqueux (Lacroix, Bordeleau/Ausschluss Bellemare!) 1:1. 28. Ugarow (Leontiev, Koltsov) 1:2. 60. (59:15) Andrei Kostitsyn (Kaljuschny, Leontiev) 1:3. – Strafen: Frankreich 11-mal 2 Minuten, Weissrussland 4-mal 2 Minuten. – Bemerkungen: Frankreich ohne Sacha Treille und Trabichet. Weissrussland ohne Makritsky und Antonenko. Frankreich ab 59:22 ohne Torhüter. Torschüsse 20:29 (7:8, 6:11, 7:10). Yorick Treille (Fr) und Koval (WRuss) als beste Spieler ausgezeichnet. Frankreich: Huet (Lhenry); Amar (2), Bachet; Besch (2), Bonnard; Lacroix (2), Quessandier; François Rozenthal (2), Meunier (C) Yorick Treille; Gras (2), Bordeleau (4), Coqueux; Hecquefeuille, Bellemare (4), Desrosiers (2); Lussier, Zwikel, Tardif (2). Weissrussland: Koval (Goryachevskikh); Denisau, Salei (C); Kastyuchonak, Leontiev; Kolosau, Zhurik; Siarhei Kastsitsyn, Kalyuzhny (4), Andrei Kastsitsyn (4); Ugarov, Grabovsky, Koltsov; Mialeshka, Mikhalev, Chuprys; Dudik, Zadzialenau, Kulakov.
Beim Zwischenrunden-Spiel der Gruppe E, hat die Schweiz, mit den zwei NHL-Goalies Martin Gerber und Jonas Hiller, gegen Tschechien, mit 16 NHL-Akteuren, in «Spiel 27» in allen Belangen das Nachsehen.Mark Streit, der von Montreal keine WM-Freigabe erhalten hat, verfolgt die Niederlage von der Tribüne aus,(Krein)
Eine Weltklassebank: Kovalchuk (71), Fedorov (28) und Ovechkin (8) warten auf ihren nächsten Einsatz beim Duell der «roten-» gegen die «weissen» Russen. (Krein)
Alexander Ovechkin, beobachtet von Alexander Radulov, verabschiedet sich von NHL-Mannschaftskollege Niklas Bäckström(19),gefolgt von den schwedischen Weltklassegoalies Stefan Liv, der 2011 beim Flugzeugabsturz von Jaroslawl ums Leben kommt, und Henrik Lundqvist. (Krein)
Beim Bully stehen sich Sébastien Bordeleau (Bern) und Jonathan Pittis (Bruder von Domenico) gegenüber. Beide Stürmer treffen beim Knüller um den Ligaerhalt. Italiens Headcoach Michel Goulet muss ausgerechnet in Quebec, seiner ehemaligen NHL-Wirkungsstätte, absteigen. (Krein)
10. Mai 2008 – 20 Uhr 15
Italien – Frankreich 4:6 (1:2, 1:1, 2:3) Colisée. – 7’649 Zuschauer. SR Looker /Partanen (USA/Fi), Eglitis /Feola (Lett/USA). – Tore: 3. Cirone 1:0. 9. Amar (Bordeleau, Desrosiers /Ausschluss Pittis) 1:1. 15. Yorick Treille (Amar, Bordeleau /Ausschlüsse Ansoldi, Signoretti) 1:2. 25. Zwikel (Desrosiers) 1:3. 27. Signoretti (Cirone, Fontanive /Ausschluss Scandella!) 2:3. 42. Desrosiers 2:4. 45. Iannone (Bustreo) 3:4. 46. Yorick Treille (François Rozenthal) 3:5. 52. Bordeleau 3:6. 57. Pittis (Chitarroni, Hell /Ausschluss Frankreich) 4:6. – Strafen: Italien 7-mal 2 plus 10 Minuten (Iannone), Frankreich 5-mal 2 Minuten. – Bemerkungen: Italien ohne Strazzabosco (verletzt) und Insam (überzählig), Frankreich ohne Meunier und Trabichet (verletzt). Italien ab 56:10 bis 56:58, 57:20 bis 57:59 und 58:16 bis 59:21 ohne Torhüter. Torschüsse 45:31 (11:12, 16:6, 18:13) Italien: Hell (Tragust); Helfer, Borgatello; Trevisani, Signoretti (2); Lorenzi, Hofer; Lutz; Fontanive, Cirone, Scandella (2); Margoni, Ansoldi (2), Ramoser (2); Chitarroni (C), Pittis (2), De Bettin (2); Iannone (12), De Toni, Bustreo; Parco. Frankreich (2): Huet (Lhenry); Amar, Bachet (C); Besch, Lacroix; Bonnard, Quessandier; Mille; François Rozenthal, Bordeleau, Yorick Treille (2); Lussier (2), Gras, Coqueux; Hecquefeuille, Bellemare, Desrosiers; Sacha Treille (2), Zwikel, Tardif (2); Raux.
Egel wie gut die Dänen oder wie schlecht die Schweizer, am Ende gewinnt immer die Schweiz. Thierry Paterlini, Thomas Ziegler, Paul di Pietro und Julien Vauclair jubeln in der 32. und 34. Minute gegen Patrick Galbraith und Co. (Krein)