Bis Ende der 90er Jahre ist die National-Hockey-League von der Schweiz so weit entfernt, wie einst Amerika für «Colombo», wie 1994 im Züri-West-Song «Amerika git’s nid» von Kuno Lauener passend umgesetzt. Nur wenige Schweizer Journalisten erleben die sogenannte «Belle-Epoche» der NHL und kehren mit leuchtenden Augen aus Amerika zurück, doch niemand weiss so richtig ob’s dieses «Amerika» so wirklich gibt, nichts beschreibt dies treffender als Züri-West’s Refrain: „Amerika git’s nid, sie hei’s gar niä gfungä – Amerika git’s nid, das isch nume ä Gschicht – Amerika git’s nid, aues glogä u erfungä – Amerika gits nid, Amerika isch nume es Grücht.“ Erst im Januar 1995 wird das Gerücht durch die Pionierleistung von Pauli Jaks zur Geschichte.
2022 und 43 Schweizer NHL-Spieler später weiss jeder, das es das mythische «NHL-Amerika git» und wie. Heute ist die NHL allgegenwärtig und der Traum jedes Hockeytalents – und sie gastiert bereits zum sechsten Mal in der Schweiz, die European-Tour von 1959 in Genf und Zürich nicht mit eingerechnet. Und wenn «Amerika» in Europa gastiert, ist alles anders. Sämtliche Zweifel in Lauener’s Refrain werden auf einen Schlag ausgeräumt. Die Medien-Akkreditierung wird durch eine Schwedin administriert: «Sorry i’m from Sweden», sagt sie nach meiner berndeutschen Frage.
Selbst die treuesten SCB-Funktionäre dürfen das Training der prominenten Gäste in der PostFinance Arena nicht besuchen und der heimische SC Bern wird beim Sonntagstraining aufs unterirdische Trainingsfeld degradiert. Die Nashville Predators trainieren ab 11 Uhr, während 30 Minuten auf dem Hauptfeld der Arena, ehe sie ihre Eisschicht vor geschlossenen Türen und Vorhängen in der Trainingshalle fortsetzen. Neben dem «besenreinen Stadion», Nachwuchskabinen inklusive und dem kompletten Wechsel sämtlicher Sponsoren, sowie dem Grossteil der Stadioneinnahmen, werden auf dem grösseren Eisfeld sogar die Bully-Kreise neu gezeichnet, damit der Winkel für die NHL-Goalies stimmt. Für den Berner Schlussmann Philip Wüthrich, spielt dies aus Sicht «Amerikas» keine Rolle. Während des Spiels scheint dies für den hervorragend spielenden Wüthrich tatsächlich keine Rolle zu spielen – er pariert Schuss um Schuss und wird zurecht als drittbester Spieler der Partie ausgezeichnet.
Der Rummel um und in der Arena ist der absolute Wahnsinn, alles was Rang und Namen hat – und alles was nicht Rang und Namen hat – tummelt sich im langsamen Schritt-Tempo durch die Tribünengänge. Jeden Meter kennst du irgendjemanden aus dem Hockeyumfeld und selbst Nashvilles General-Manager David Poile oder Triple-Gold-Club-Legende Peter Forsberg gehen in diesem Tohuwabohu unter. Im «Bärengraben» tummeln sich nach dem Spiel über 100 Journalisten wie in einem Ameisenhaufen, dennoch behalten die Medien-Verantwortlichen beider Seiten den Überblick. Das unerreichbare Amerika, welches vor 30 Jahren nur vom Hörensagen durch eine Handvoll Pioniere nach Drehbuch und Hollywood gerochen hat, ist nun da – und wie. «Amerika git’s» und dies allen Belangen anlässlich seines bereits zwölften Einzel-Auftritts auf Schweizer Eis.
Die sportliche Kontrolle auf dem Eis übernimmt zunächst aber nicht Amerika, sondern der Gast im eigenen Stadion und geht mit 1:0 in Führung. Ab der 27. Minute schlägt die teuerste Angriffsreihe Nashvilles, 21.5 Millionen Saisonverdienst, mit Duchene-Granlund-Forsberg gleich doppelt zu. Zweimal trifft auch Berns verlorener Sohn Roman Josi. «Wie nach Drehbuch» meint mein Sitznachbar der deutschen Eishockeynews und NHL-Kenner Joël Wüthrich, ich entgegne das «kontroverse Duell*» mit einem «Nein», wie einst in der gleichnamigen Slapshot-Rubrik* zwischen Wüthrich und Klaus Zaugg. Apropos Zaugg, der beim SCB äusserst «beliebte» Chronist findet kurz vor Spielbeginn auf der Medientribüne seinen Sitzplatz nicht: «I ha niene ä Platz», der SCB habe ihm einen Medienplatz verwehrt, entpuppt sich aber als «gloge u erfunge u isch nume es Grücht» – aber Amerika git’s!
Bern – Nashville Predators 3:4 (2:1, 0:2, 1:1)
PostFinance-Arena. – 17’031 Zuschauer (ausverkauft). – SR Stolc /St. Pierre, Obwegeser /Nansen. – Tore: 11. Bärtschi (Scherwey /Ausschluss Jeannot) 1:0. 18. Josi 1:1. 20. (19:50) Loeffel (Sceviour) 2:1. 27. Forsberg (Josi) 2:2. 29. Duchene (Granlund, Johansen /Ausschluss DiDomenico und Strafe gegen Bern angezeigt) 2:3. 46. Josi (Jeannot, Trenin) 2:4. 60. (59:47) DiDomenico (Kahun, Bern ohne Goalie) 3:4. – Strafen: Bern 3-mal 2 Minuten, Nashville Predators 6-mal 2 Minuten. – Bemerkungen: Bern ohne Henauer, Lehmann (beide verletzt), Pinana, Fuss, Dähler und Ryser (überzählig). Nashville Predators ohne Saros (überzählig). 10. Lattenschuss Johansen, 60. Pfostenschuss Jeannot. 59:22 Time-out Bern und von 59:22 bis 59:47 ohne Goalie. Torschüsse 17:31 (9:7, 4:12, 4:12). Josi*, Niederreiter** (beide Nashville) und Wüthrich*** (Bern) als beste Spieler ausgezeichnet.
Bern (2): Wüthrich (Manzato); Untersander (2), Gelinas; Loeffel, Zgraggen; Goloubef, Colin Gerber; Beat Gerber; DiDomenico, Fahrni, Moser; Bärtschi, Lindberg (2), Scherwey; Vermin, Sceviour, Näf; Bader, Baumgartner, Ritzmann; Kahun.
Nashville Predators: Lankinen (Ingram); Carrier (2), Josi (4); Ekholm, McDonagh; Fabbro, Lauzon (2); Sherwood, Johansen, Niederreiter; Duchene, Granlund, Forsberg; Jeannot (2), Sissons, Trenin (2); Tolvanen, Glass, Smith.