Altjahrswoche in New York, neben Weihnachtsshopping und eisiger Kälte in den Strassenschluchten von Manhattan, macht auch der NHL-Spielplan nicht halt. Einst, zu Zeiten des kalten Krieges, ist die letzte Woche des Jahres reserviert für besondere Leckerbissen. So gastieren, seit der Eröffnung des vierten Madison-Square-Gardens, am 11. Februar 1968, fünfmal kommunistische Teams aus Osteuropa an der Pennsylvania Plaza 4. Diese Spiele gehen jeweils zwischen dem 27. Dezember und dem 1. Januar als NHL-Super-Series über die Showbühne der berühmtesten Arena der Welt – und die New York Rangers gewinnen nie. Zuletzt gibts, am Silvesterabend 1990, gegen ZSKA Moskau – das wohl beste Klubteam aller Zeiten – eine 1:6-Niederlage. Bei den Sowjets mit dabei sind Sergei Zubov und Sergei Nemchinov, beide werden vier Jahre später, zusammen mit den Dynamo Moskau-Spielern Alexei Kovalev und Alexander Karpovtsev, an der gleichen Spielstätte, den Stanley-Cup für die Rangers holen.
Der Fluch
Mit den vier ehemaligen Sowjets kämpfen die Rangers, am 14. Juni 1994, im siebten Spiel der Finalserie nicht nur gegen die Vancouver Canucks, sondern auch gegen den «Fluch», der seit 54 Jahren auf den Rangers lastet und sie auf Schritt und Tritt begleitet. In der 14. Minute ist es Captain Mark Messier, welcher das Game-Winning-Goal, zum zwischenzeitlichen 3:0 erzielt. Gezittert wird jedoch, durch zwei Canucks-Treffer von Trevor Linden, bis zum letzten Bully 1,1 Sekunden vor Schluss. Der «Fluch» ist endlich besiegt, so oft sind die Rangers in den vergangenen 54 Jahren gescheitert, die Ursachen für das ewige Scheitern soll mit einem Fluch zusammenhängen, über deren Urheber man sich nicht nie ganz einig gewesen war. John Reed Kilpatrick etwa, der nach dem letzten Cup-Gewinn 1940 den Pokal entheiligt haben soll, als er darin den Grundstückpfandbrief auf den alten Madison-Square-Garden (II), auf drei Millionen Dollar lautend, verbrannte? Oder etwa eine Aussage von Mervyn «Red» Dutton, Manager der damaligen Rivalen der New York Americans, dessen Team von den Rangers aus dem Garden vertrieben und aufgelöst wurde? Dutton, welcher 1987 verstarb, schwor, die Rangers würden den Stanley-Cup zu seinen Lebzeiten nie mehr gewinnen.
In der Folge finden die Rangers während 54 Jahren immer wieder einen Weg den Stanley-Cup nicht zu gewinnen, irgendetwas geht immer schief und irgendetwas muss immer als Ausrede für das Scheitern hinhalten. Neue Retter, neue Manager, neue Trainer, neue Superstars und neue Besitzer kommen und gehen an der Pennsylvania Plaza. So auch vor dem siebten Spiel der Finalserie 1994, als Besitzer Viacom Inc. den sportlichen «Nebenbetrieb» der Rangers und New York Knicks zum Verkauf anbietet. Die perfekte Ausrede für ein erneutes Scheitern ist also pünktlich zum siebten Finalspiel bereit. Vielleicht ist dies, neben der unglaublichen Kabinenrede von Headcoach Mike Keenan – Mark Messier bezeichnet die Rede als eindrücklichste Rede die er in seiner Karriere je gehört habe – die Extraspritze für den zusätzlichen Effort und damit den besagten Fluch endlich besiegen zu können.
„So lange ich lebe, werden die Rangers keinen Cup gewinnen.“
– Red Dutton, New York Americans und Hall-of-Fame-Mitglied
Dieser Garden versprüht auch 55 Jahre nach seiner Eröffnung und mehrfachem Umbau, zuletzt 2013, einen Charme, den man nicht beschreiben kann. Sind es die historischen Ereignisse die im Hinterkopf präsent sind? Ist es der spezielle Geruch? Ist es die stille Atmosphäre, welche an einen Theater- oder Kinosaal erinnert? Oder sind es Ausstrahlungskraft und Tradition der Rangers? «Man muss ihn erleben», beschreibt Harry Valérien, ein Urgestein des deutschen Sportjournalismus, im Buch «Kultstätten des Sports» die Atmosphäre des Gardens, treffender kann man die berühmteste Arena der Welt, nach deren auch die olympische Rad-Disziplin «Madison» benannt ist, nicht beschreiben.
So berühmt und grandios die aktuellen Stars auf dem Eis auch sind, der Garden überstrahlt sie alle. So auch am 27. Dezember 2022, als die Washington Capitals mit Alexander Ovechkin und Co. gastieren. Das Spiel des Gastgebers bleibt blass und dazu brauchts nicht mal einen Fluch. Das technische Kabinettstück von Verteidiger K’Andre Miller, wie er Ovechkin aussteigen lässt, bleibt die beste Aktion der Blueshirts. Auch ohne Treffer der Rangers ist der Besuch im Garden ein unvergessliches Erlebnis oder wie heisst es? «Man muss ihn erleben.» Dies gilt nicht für den Rangers-Fan neben mir, welcher seinen Sitzplatz schon nach der zweiten Drittelspause verlässt und dies, obwohl er sich pro Jahr nur drei Spiele leisten kann: «Die Tickets sind sehr teuer, so gehe ich lieber an die Auswärtsspiele in Philadelphia, Newark und Long Island», verrät der New Yorker.
Der Ruotsalainen-Deal
Seit dem letzten Cup-Gewinn sind bereits wieder 29 Jahre verstrichen, diese sind jedoch nicht mehr mit einem Fluch behaftet, auch wenn Schwarzmarktdealer mit verbfüffend echten, aber gefälschten Tickets, als «Frank Abagnales im Westentaschenformat» ihren Schabernack treiben. Der Garden verkörpert so viel mehr als nur ein einzelnes Spiel der Rangers. In seiner 55-jährigen Geschichte wird hier auch so mancher Deal eingefädelt, der spektakulärste aus Schweizer Sicht geht im «Charley O’s», einem Steakhouse welches in den 80er Jahren auch als wichtige Begegnungsstätte dient, über den Tisch. Noch heute werden dort, vor den Spielen Steaks verzehrt – jedoch unter dem Label «Nick + Stef’s Steakhouse.» Diese kulinarische Örtlichkeit, an der Pennsylvania Plaza Nummer 9, ist an einem 12. April 1986, nach dem dritten Playoff-Spiel der Rangers gegen die Philadelphia Flyers Ausgangspunkt des Reijo Ruotsalainen-Transfers. Nach dem 5:2-Sieg der «Blueshirts» treffen sich dort SCB-Präsident Eddie Tschanz und Rangers-Star Ruotsalainen, oder wie sagt man? «Man muss ihn erleben.»
New York Rangers – Washington Capitals 0:4 (0:1, 0:2, 0:1)
Madison-Square-Garden. – 18’006 Zuschauer (ausverkauft!). – SR Rehman (10)/Markovic (31), Cherrey (50)/MacPherson (83). – Tore: 9. Johansson (Kuznetsov, Gustafsson /Ausschlüsse Lindgren, Kreider) 0:1. 38. Gustafsson (Sheary, Strome) 0:2. 40. Eller (Mantha) 0:3. 57. Sheary (ins leere Tor) 0:4. – Strafen: New York Rangers 3-mal 2 Minuten, Washington Capitals 5-mal 2 Minuten. – Bemerkungen: New York Rangers ohne Blais und Hajek, Washington Capitals ohne Johansen, Oshie und Snively (alle verletzt). Torschüsse 32:30. Kuemper*, Gustafsson** und Sheary*** (alle Washington Capitals) als beste Spieler ausgezeichnet.
New York Rangers (2): Shesterkin (Halak); Miller, Trouba; Lindgren (2), Fox; Harpur, Schneider; Lafrenière, Chytil, Kakko; Panarin, Zibanejad, Kravtsov; Kreider (2), Trocheck, Vesey; Brodzinski, Goodrow, Gauthier.
Washington Capitals: Kuemper (Lindgren); Orlov (2), Jensen (2); Gustafsson, Van Riemsdyk; Alexeyev, Irwin (2); Johansson, Eller, Aubé-Kubel; Ovechkin, Strome, Sheary (2); Milano, Kuznetsov, Mantha; Protas, Dowd, Hathaway (2).