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Der Bozen Krimi

Dieses Bozen, die italienische Eishockey-Hochburg blüht seit 1947, ohne Unterbruch, in der obersten Spielklasse. Seit 2013 spielen die Südtiroler lieber in der internationalen Alptransit-Liga «win2day-ICE-Hockey-League.» Dies tun sie äusserst erfolgreich, denn die Bozner stehen zum vierten mal innert zehn Jahren im Endspiel um die Karl-Nedwed-Trophy. Gegner ist der frischgebackene österreichische Meister des EC Red Bull Salzburg. Spielen die Bozner im Final, kann ihr Widersacher bereits den österreichischen Pokal in die höhe stemmen. Als Zugabe stemmen die Mozartstädter am 21. April 2023 auch die Karl-Nedwed-Trophy zum achten Mal in die Höhe. Die Finalissima zwischen dem HC Bozen und Salzburg geht über sieben Spiele und mahnt in ihrer Dramatik an einen Text des einstigen Bozner Sport-Journalisten Franz Sinn.

Sinn tippt in den 80er und 90er Jahren die Buchstaben über das italienische Eishockey wie ein Südtiroler Gourmet-Koch ein Michelin-Stern erkocht. Die Zeilen lesen sich wie eine Symphonie eines Viergang-Menüs der italienischen Küche. Die Zeilen vergehen nicht im Gaumen, prägen sich aber literarisch und bildlich ins Gedächtnis. So auch Bozens Meisterstück aus dem Jahre 1990. Sinn beschreibt den elften Titel der Weiss-Roten wie ein Krimi und zieht den Hockeyleser in den Bann. Wer Bozens Meisterstück um seinen NHL-Superstar Mark Napier liest, lässt Italiens Hockey, auch als Schweizer, nie mehr los. Das Schwarz-Weiss-Foto des Kanadiers im Lancia-Bozen-Jersey wird, in farbiger Kleinkunst, nachgezeichnet und die italienische Serie-A wird zur faszinierendsten Nebenliga der Nationalliga-A.

Im Sommer 1990 schreibt der Sensationstransfer von Jari Kurri nach Italien das nächste hochkarätige Kapitel unseres südlichen Nachbarn. Der fünffache Stanley-Cup-Sieger aus Edmonton schlägt Angebote aus der Schweiz und Finnland aus um bei den Devils, der Eishockeyabteilung Silvio Berlusconis, in Mailand zu spielen. Im Sog hochkarätiger Zuzüge und den finanziellen Möglichkeiten der Mailänder Klubs mausern sich die Italiener, mit zahlreichen Italokanadiern (Italos) zu einer festen A-Nation und verbannen gar die Schweiz gleich zweimal in die B-Gruppe. 1991 wird die Alpenliga, hierzulande oft belächelt und wohl nie richtig verstanden, gegründet. Italiener, Österreicher und Slowenen treten in der ersten länderübergreifenden Meisterschaft Europas’ gegeneinander an. Mit der Alpenliga testet der IIHF die langjährige Idee einer Global-Hockey-League und macht sie zum Vorreiter der späteren European-Hockey-League (1997) und der heutigen Champions-Hockey-League – dazu liefert die Alpenliga in den nachfolgenden Jahren regelmässig hervorragende Ausländer in die NLA.

WM-Stadion von 1994

1999 stellt die Alpenliga ihren Betrieb aus finanziellen Gründen und mangelndem Interesse wieder ein, doch dies nur vorübergehend. 2006 heuern die Slowenen in Österreich an, 2013 folgen die Italiener, heute umfasst die transalpine «win2-day» Liga wieder 13 Teams aus vier Ländern. Bozen, welches die alte Alpenliga als Spitzenklub geprägt hat, spielt auch im April 2023 wieder eine grosse Rolle. Das erfolgsverwöhnte Publikum aus der Dolomitenstadt strömt aber nur in den Playoffs in Scharen in die Eiswelle (Palaonda). Die Stimmung in der Final-Serie ist bombastisch, die Stehrampe unter dem Schriftzug «Figli-di-Bolzano» (Kinder Bozens) ist heissblütig und zelebriert ein Eishockey-Fest von feinsten, so wie man es bei uns von Lugano oder Ambrì kennt. Zu den vier Heimspielen kommen dreimal über 6’000 ins ehemalige WM-Stadion von 1994, an der Luigi-Galvani-Strasse, im Messegelände des Stadtteils «Oberau-Haslach.» Vor dem dritten Spiel, steht ein siebenfacher «Scudetto-Gewinner» und IIHF-Hall-of-Fame-Mitglied Italiens an der Stadionkasse: Lucio «Falco» Topatigh kommt regelmässig an die Spiele, wie sein früherer Bozner Weggefährte Martin Pavlu.

Forst und Red Bull

Italienische Ausnahmekönner von Topatighs Format fehlen heute in Bozen. Gerade mal fünf echte Italiener sind beim dritten Spiel im Einsatz: Pascal Brunner, Leonardo Felicetti, Luca Frigo, Daniel Frank, und Enrico Miglioranzi. Nicht im Aufgebot, dafür bereit für ein Treffen auf der Tribüne ist Hannes Kasslatter. Der Grödner kämpft um einen Stammplatz und ist nach Dave Baseggio, der «zweite Lysser» beim erfolgreichsten Klub Italiens. Unterhalb der VIP-Plätze, wo neben Kasslatter auch Bozens Eishockey-Vater Dieter Knoll die Spiele verfolgt, sind die Presseplätze. Diese bieten beste Sicht, für die grossen Medien, wie etwa die Dolomiten-Zeitung – welche seit Jahrzehnten vorzüglich über Italiens Eishockey berichtet – gibt es sogar eine eigene Kabine. Neben mir berichtet Alexander Foppa von den SportNews.bz über das dritte Finalspiel. Dieses läuft nicht für die Männer in den grünen «Forst-Bier-Helmen» – die Südtiroler Bierbrauerei ist seit 1991 an Bord – eine zweifache Überzahl-Situation nutzen die Special-Teams von Headcoach Glen Hanlon, dem ehemaligen Schweizer Nationaltrainer, nicht und so gehen die Männer in den silber-blauen «Red-Bull-Helmen» kurze Zeit später mit 2:0 in Front. Der Energy-Drink siegt im dritten Spiel mit 4:1 über die Biermarke. Die Energie fehlt den Boznern auch im letzten Heimspiel und der Bozen-Krimi wird im siebten Spiel in der 59. Minute durch den dänischen Internationalen Nicolai Meyer entschieden. Bier gibt’s nun für Red Bull und selbst Franz Sinn hätte den neusten Bozen-Krimi kaum besser, als in der Realität, illustrieren können.

#DatumSpielResultatZuschauer
I6.4.Bozen – Salzburg1:05 589
II8.4.Salzburg – Bozen1:03 600
III11.4.Bozen – Salzburg1:46 432
IV14.4.Salzburg – Bozen3:03 600
V16.4.Bozen – Salzburg4:3nV6 800
VI18.4.Salzburg – Bozen3:43 600
VII21.4.Bozen – Salzburg1:26 800

Final – Spiel III – 11. April 2023 – 19 Uhr 30

HC Bozen Südtirol-Alperia – EC Red Bull Salzburg 1:4 (0:1, 0:1, 1:2)
Palaonda/Sparkasse-Arena. – 6 432 Zuschauer (Saisonrekord). – SR Hronsky/Nikolic, Durmis/Nothegger. – Tore: 6. Schneider (Harnisch, Nissen) 0:1. 35. Robertson 0:2. 42. Huber (Robertson, Stajnoch) 0:3. 45. Culkin 1:3. 60. (59:48) Raffl (ins leere Tor) 1:4. – Strafen: Bozen 5-mal 2 Minuten, Red Bull Salzburg 4-mal 2 Minuten. – Bemerkungen: Bozen ohne Amorosa, Kasslatter und Matus; Red Bull Salzburg ohne Auer, Maier, Predan und Schreier (alle überzählig). Red Bull Salzburg 52. Time-out. Bozen zwischen 58:12 und 59:48 ohne Torhüter. Torschüsse 32:33 (7:15, 10:11, 15:7).
Bozen: Harvey (Bernard); Culkin, Miglioranzi (2); Hults, Dalhuisen (4); Valentine (2), Di Perna (2); Ginnetti; Frattin, Hults, Thomas; Halmo, McClure, Gazley; Frigo, Mantenuto, Frank; Felicetti, Alberga, Miceli; Brunner.
Red Bull Salzburg: Tolvanen (Kickert); Heinrich, Lewington (2); MacWilliam (2), Genoway; Robertson, Stajnoch; Stapelfeld; Harnisch, Nissner (2), Schneider; Huber (2), Bourke, Thaler; Hochkofler, Wukowits, Huber; Raffl, Baltram, Meyer; Nikolaus Heigl.

Bozner Erfolgsgeschichte

Es ist ein heisser Sommertag, niemand denkt in der Umgebung der Bozner Eiswelle «Palaonda» an Eishockey, ein kleiner, geschlossener Imbissstand in den Farben des HC Bozen deutet einzig auf den Eishockeysport hin. Auch das Eisstadion, welches im Mai 1994, bei ähnlichen Temperaturen, auch WM-Schauplatz ist, ist auf den ersten Blick nicht als Eishalle auszumachen. Die Stadion-Beiz ist offen und eine Handvoll Stammgäste diskutieren schon am frühen Nachmittag feuchtfröhlich mit dem Stadionwirt. Dieser gewährt, durch das Stadionbeizli hindurch, auch im Sommer Einlass in die Heimstätte der erfolgreichsten italienischen Eishockey-Organisation.

Ruhmreiche Hallendecke

Die Saison 2012-13 ist leider schon Geschichte und die unteren Sitzreihen in der Multifunktionshalle, wie beim Zürcher Hallenstadion, schon eingefahren. Dennoch gibts noch Spuren aus der vergangenen Meisterschaft, ein Matchprogramm liegt noch auf der Medientribüne. Als Qualifikationsdritter scheitert Bozen vorzeitig im Viertelfinal am späteren Meister AS Asiago. Für die Bozner ist es die vorerst letzte Meisterschaft in der heimischen Serie-A, die Südtiroler wechseln auf kommende Saison hin in die österreichische Erste-Bank-Eishockey-Liga (EBEL).


42 Spiele, 76 Tore und 78 Assists – das ist die Bilanz von Mark Napier, dem Star von Meister HC Bozen

– Franz Sinn, Eishockey-Journalist

Damit verliert die Serie-A, welche in den 90er Jahren ihre letzte Blütezeit erlebt, den wichtigsten Klub der heimischen Liga. Unter der Hallendecke der Bozner Eiswelle hängen Fahnen von 19 italienischen Meistertiteln, in schweizerdeutsch ausgedrückt, es ist als würde der HC Davos in die KHL wechseln. Die Meisterfahne 1990, sie hängt vor dem ersten Alpenliga-Titel, lässt mich in Gedanken an den fabelhaften Bericht von Franz Sinn, einem bedeutenden Eishockey-Reporter Italiens, zurück schwelgen. Die Seite 107 im deutschen «Eishockey Jahrbuch 1990» sind die Zeilen über «Italien» und dessen Meisterstück, welches als regelrechter Krimi niedergeschrieben ist. Wer diese Zeilen liest, wer sich die Messehalle, die Vorgängerin der Palaonda, vorstellen kann und wer dieses Foto (oben) von Mark Napier im rot-weissen Lancia-Jersey sieht, will nach Bozen. Doch diese Bozner wollen nach Österreich und spielen künftig lieber gegen Tiroler, statt gegen Vicenzer oder Ladiner. Ein Tiefschlag für die italienische Liga, aber eine Chance für Bozen, welches sich durch den Ligawechsel und seine, für italienische Verhältnisse, hohen Zuschauerzahlen, neue finanzielle- und sportliche Möglichkeiten erhofft.

Wie einst in der Alpenliga?

Bozen spielt schon früher eine grosse Rolle in der länderübergreifenden Meisterschaft der 90er Jahre. In der Alpenliga spielen die Südtiroler immer an der Spitze mit und holen, nach zwei Silbermedaillen, 1994 vor heimischer Kulisse gegen die grossen Devils aus Mailand den ersten Alpen-Cup-Pokal. 1995 folgt der zweite internationale Titel, beim gewinn der Euroliga, verstärkt der zweifache Stanley-Cup-Sieger Jaromir Jagr die «Weiss-roten» im Endspiel gegen den HC Rouen. Bozen hat immer schon grosse Stars ins Alto-Adige (Südtirol) gelockt, wie etwa Ron Chipperfield, Kent Nilsson, Mark Pavelich oder eben Napier, einst überragender Mann bei Franz Sinn’s Krimi-Titel 1990. Seine 154 Skorerpunkte in 42 Spielen sind noch heute eine Rekordmarke. Ein «Scudetto» kommt vorerst keiner mehr dazu und das «alte Matchprogramm» auf der Pressetribüne wird zum Relikt.

Künftige Bozner-Stars, wie einst der grosse Napier, schreiben ihre erfolgreiche Hockey-Geschichte in Zukunft wieder zusammen mit Österreichern und Slowenen, wie früher in der guten, alten Alpenliga. Auch auf der anderen Seite des Brennerpasses (Brennero) dürfte ein Titelgewinn um die «Champions-Trophy» bald als Fahne unter der Hallendecke der Palaonda hängen und Franz Sinn wird den einstigen Krimi neu als Symphonie niederschreiben.